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"Sexuelle Identität" ins Grundgesetz? (Kurzfassung)

"Sexuelle Identität" ins Grundgesetz?

 

(MEDRUM) Am 16.10.09 befasste sich der Bundesrat mit einem Gesetzesantrag der drei Bundesländer Berlin, Bremen und Hamburg. In diesem Antrag (Drucksache 741/09 vom 29.09.09) geht es hauptsächlich um Interessen homosexueller Partnerschaften. Der Antrag fordert: "Einfügung des Merkmals der „sexuellen Identität“ in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz."

Im Antrag wird behauptet, das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes biete „keinen ausreichenden Schutz gegenüber abweichenden, in der Gesellschaft herrschenden Sexualvorstellungen“. „Gesichtspunkte der sexuellen Identität können unter keinen Umständen eine ungleiche Behandlung in unserer Gesellschaft rechtfertigen", so der Gesetzesantrag.

Aus dem inhaltlichen Kontext und der heutigen Gesetzeslage wird ersichtlich, dass es bei der Einfügung des Merkmals "sexuelle Identität" um mehr geht als nur um den Schutz von individuell unterschiedlichen Anschauungen über Sexualität, wie es die Formulierung „Sexualvorstellungen“ nahe legen könnte. Denn ein solcher Schutz ist sowohl durch das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes als auch durch weitere Gesetze hinreichend gewährleistet. Den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes nannte Zypries in ihrer Rede im Bundesrat allerdings eine Gleichheit "zweiter Klasse". Ihre Beweggründe liegen auf der Hand. Denn mit dem Gleichbehandlungsgebot alleine lassen sich noch keine Gleichheitsansprüche homosexueller Partnerschaften mit Blick auf die Ehe durchsetzen.

Mit der Einführung einer "sexuellen Identität" als einem Merkmal des Menschen, weswegen er nicht benachteiligt oder begünstigt werden darf, soll deshalb verfassungsrechtlich erzwungen werden, dass für homosexuelle Lebenspartnerschaften gleiche Ansprüche wie für die Ehe durchgesetzt werden können, wie auch die Äußerung von Zypries in ihrer Rede zeigt: „Wenn dagegen das Merkmal ‚sexuelle Identität’ ausdrücklich im Grundgesetz steht, dann werden die Unterschiede zwischen der Ehe und der Lebenspartnerschaft im einfachen Recht keinen Bestand mehr haben. Das würde endlich die Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaft und Ehe schaffen und ich bin überzeugt: Das wäre ein großer Gewinn für die Gerechtigkeit.“

Indem eine solche Forderung zur Verfassungsnorm erhoben wird, und diese danach allenfalls mit einer Zweitdrittelmehrheit wieder verändert werden könnte, sollen Rechte homosexueller Partnerschaften zu einer zentralen Vorgabe der verfassten Ordnung werden. Dadurch soll die völlige rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe als Eckpfeiler für Politik und Gesellschaft in einer Form verankert werden, die sich dem Zugriff einfacher Gesetzesmehrheiten entzieht. Zugleich würde eine bevorzugte Förderung der Ehe damit künftig unmöglich gemacht werden.

Ob es im Interesse des Allgemeinwohls dieser Gesellschaft liegt, eine solche Verfassungsänderung herbeizuführen, darf bezweifelt werden. Von großer Bedeutung dürfte neben der Frage einer Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe auch die Frage sein, ob das Konstrukt der „sexuellen Identität“ nur die Präferenz heterosexueller und homosexueller Orientierungen umfasst oder ob diese "Identität" nicht ebenso bisexuelle Orientierungen, pädophile Präferenzen und neben monogamen auch polygame Orientierungen als Teil der „sexuellen Identität“ einschließt. Dies alles ist unklar, aber denkbar. Der Gesetzesvorstoß macht dazu keinerlei Aussage. Auch Zypries geht in ihrer Rede nicht auf solche problematischen Aspekte ein. Sie betont lediglich akklamatorisch: „Wir müssen heute deutlich machen: Auch wegen seiner sexuellen Identität darf in diesem Land niemand diskriminiert werden.“ Die drei Bundesländer und die Bundesjustizministerin bleiben jedoch auf viele Fragen von grundsätzlicher Bedeutung überzeugende Antworten schuldig.