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Russland kündigt Beendigung der Kampfhandlungen in Südossetien und Georgien an


13.08.08

Russland erklärt Kampfhandlungen in Südossetien und Georgien für beendet

Sarkozys Vorschläge bringen Verpflichtungen der Europäischen Union mit sich

(MEDRUM)
Russlands Präsident Medwedew teilte gestern vor einem Treffen mit dem
EU-Ratspräsidenten Sarkozy in Moskau mit, dass er die Einstellung aller
Kampfhandlungen gegen Georgien angeordnet hat. Russland stimmte ebenso wie Georgien einem
Vorschlag des EU-Ratspräsidenten zu, der zu Gewaltverzicht aufruft und
Humanitäre Hilfe sowie den Einsatz einer Friedenstruppe anbietet.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew kündigte an, Russland sei bereit, seine Truppen hinter jene Grenzen zurückzuziehen, hinter denen sie sich vor Ausbruch des Konflikts um Südossetien aufhielten. Auch Georgien müsse seine Armee in die Kasernen zurückführen. Medwedew hat den heutigen Mittwoch zum nationalen Trauertag für die Opfer der Kämpfe in der Region Südossetien erklärt und Staatstrauer angeordnet. In einer entsprechenden Anordnung sprach der Staatschef von einer "humanitären Katastrophe". Gleichzeitig äußerte Medwedew seine Trauer und drückte den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Nach Angaben der russischen Führung gab es bei den Kämpfen in Südossetien "tausende Opfer".

Der Friedensplan von Sarkozy sieht laut WELT vor, dass beide Seiten auf Gewalt verzichten, ihre Truppen zurückziehen und Helfern den Zugang zu den Opfern ermöglichen. Die russischen Friedenstruppen, die seit Mitte der 90er Jahre mit einem Mandat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Südossetien stationiert sind, verpflichten sich zu „zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen" in Südossetien. Der Friedensplan von Sarkozy ist eine Erklärung, die auf bestimmte Prinzipien verpflichtet. Wie die ZEIT berichtet, sieht Sarkozy diesen Plan als Basis für eine
UN-Resolution. "Die Sorge Georgiens um die territoriale Einheit ist im
Geist des Textes enthalten", betonte Sarkozy laut ZEIT. Auch nach Ansicht Medwedjews böten die
modifizierten EU-Vorschläge einen Ausweg aus dem Konflikt.

Die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach Mitteilung des Bundespresseamtes in einem Telefonat mit dem französischen Staatspräsidenten Nikolas Sarkozy ihre große Besorgnis über dramatische Konsequenzen für die leidende Zivilbevölkerung geäußert. Merkel und Sarkozy vereinbarten auch in dieser Frage enge Abstimmung. Merkel hatte der französischen Ratspräsidentschaft Unterstützung angeboten: "Die Bundesregierung wird Frankreich bei den Bemühungen helfen, die militärische Auseinandersetzung zu beenden und eine politische Lösung des Konfliktes zu erreichen." Unterdessen stellte das Auswärtige Amt Deutschen, die Georgien wegen der kriegerischen Kampfhandlungen verlassen wollten, Busse zur Ausreise zur Verfügung. Nach Angaben des Ministeriums hätten sich noch etwa 300 deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger in Georgien aufgehalten.

Die 26 NATO-Staaten forderten Russland und Georgien auf, zu dem Zustand vor Ausbruch des Krieges zurückzukehren. Der NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer erklärte nach einer Krisensitzung der Botschafter der NATO-Staaten und Georgiens: "Es ist sehr wichtig, dass alle Seiten auf den Status quo ante zurückkehren, der am 6. August bestand. Alle Streitkräfte müssen also dorthin zurück, wo sie an diesem Tag standen".

SPIEGEL ONLINE und der NZZ zufolge soll Georgiens Staatschef Saakaschwili den von Nicolas Sarkozy nach Gesprächen mit Russlands Präsident Medwedew vorgestellten Friedensplan akzeptiert haben. Das strittige Thema über die Zukunft der abtrünnigen Regionen (Südossetien und Abchasien) soll auf Wunsch Georgiens aber nicht international diskutiert werden, so SPIEGEL ONLINE.

Der ehemalige Außenminister Gorbatschows, Eduard Amrossjewitsch Schewardnadse (80), der großen Anteil am Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands hatte, und spätere Präsident Georgiens (1995-2003) erklärte im Bild-Interview, es sei ein schwerwiegender Fehler gewesen, dass Georgien so unvorbereitet in Zchinwali eingefallen sei.

In einem gestrigen Kommentar bei WELT ONLINE wird der EU vorgeworfen, die Lage im Kaukasus verkannt zu haben. Seit Jahren bitte Georgien um ein verstärktes Engagement Europas, um die Konflikte im Land zu befrieden. Vor allem Berlin sei immer dann kleinlaut geworden, wenn es um konkrete Konfliktverhütung und -begrenzung gegangen sei, so der Kommentator. Jetzt müsse sich Deutschland engagieren. Die kurzzeitige georgische Besetzung der südossetischen Hauptstadt Zchinwali habe Russland zu einer Okkupation nicht nur Südossetiens, sondern auch Abchasiens genutzt. Dies sei eine völlig unverhältnismäßige Aggression und der bislang letzte Schritt in einem Konflikt, dessen Eskalation es seit 2006 mit seiner zügigen Vergabe von russischen Pässen an Südosseten und Abchasen kontinuierlich geschürt habe. Saakashwilis kurzzeitige Besetzung Zchinwali mag zwar töricht gewesen sein, die völkerrechtlich geschützte territoriale Integrität Georgien sei durch den russischen Vormarsch jedoch eklatant verletzt worden, meint der Kommentator.

Wesentlich schärfer veurteilt Zbigniew Brzezinski, Politikwissenschaftler und Berater von Barack Obama, Russlands Vorgehen. Es ähnele dem Vorgehen von Hitler. Seit Putin habe Russland einen Kurs eingeschlagen, der dem von Stalin und Hitler sehr ähnlich sei, sagte er im Gespräch mit WELT ONLINE. Er forderte den Westen auf, Russland zu isolieren.

Nach russischer Darstellung seien in der Region 1600 Zivilisten getötet und Tausende obdachlos, berichtet die NZZ. Georgien sprach hingegen von 200 Toten und Hunderten von Verletzten. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR meldete bis zu 100'000 Flüchtlinge. Laut NZZ will der georgische Staatschef Anklage beim Internationalen Strafgerichtshof gegen Russland erheben.

Mit der Informationslage über den Ausbruch der Kampfhandlungen und ihren politischen Hintergründen beschäftigt sich die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel "Propaganda 2.0". Der Kampf um die Deutungshoheit zwischen Russland und Georgien sei voll entbrannt, so die SZ. Er tobe parallel zu den Gefechten auf allen Kanälen - im Fernsehen, in Zeitungen und vor allem im Internet. So habe es auf russischer Seite Entlassungen von Reportern und Cyber War Attacken auf georgische Internetseiten gegeben.

Wie die "Taz" berichtet, wurde nach der Erklärung des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew noch in Abchasien gekämpft. Die Taz hierzu: "Dort, in der zweiten, ungleich größeren Provinz, die sich ebenfalls 1992 von Georgien für unabhängig erklärt hatte, gab der Führer der Abchasen, Juri Bagapsch, bekannt, seine Truppen hätten am Dienstag begonnen, georgische Truppen, die seit 2006 einen Teil Abchasiens besetzt hielten, zu vertreiben. Die georgischen Soldaten, hieß es, seien in ihren Stellungen im Kodorital eingekreist und müssten über kurz oder lang ihre Positionen räumen."


WELT -> Michail Saakaschwili nimmt Friedensplan an

ZEIT -> Auch Georgien stimmt Friedensplan zu

SPIEGEL ONLINE -> Saakaschwili stimmt Kaukasus-Friedensplan zu

NZZ -> Saakaschwili stimmt Sarkozys Friedensplan zu

Bild -> Es war ein Fehler, in Südossetien einzufallen

WELT -> Der Westen hat die Lage im Kaukasus verkannt

WELT -> "Russlands Vorgehen ähnelt dem von Hitler"

SZ -> Propaganda 2.0

Taz -> Hin und Her statt Waffenstillstand