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Meinungsfreiheit in der Partei Willi Brandts und demokratische Toleranz


02.08.08 

Meinungsfreiheit in der Partei Willi Brandts und demokratische Toleranz

Wolfgang Clement und ein Parteiausschluss

Kommentar von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Wolfgang Clement (SPD) konnte seine Bestürzung nicht verbergen als er gestern zum laufenden Verfahren des Parteiausschlusses befragt wurde.
"Ich hätte nie geglaubt, dass man in der Partei Willi Brandts das Recht zur freien Meinungsäußerung so geringschätzt", entgegnete er mit ungläubigem Blick. Auf die Frage, ob er Andrea Ypsilanti wählen würde, hatte der ehemalige Bundesminister Anfang Januar dieses Jahres nach kurzem Zögern geantwortet: "nein".

Ein grundgesetzlich verbrieftes Recht und einen Anspruch darauf gibt es nicht, als Mitglied in eine Partei aufgenommen und von ihr geduldet zu werden. Wolfgang Clement kann also höchstens die Parteistatuten, kaum aber das Grundgesetz bemühen, wenn er weiter ungeliebtes Mitglied in der Partei bleiben will, der er seit 4 Jahrzehnten angehört, und die unter Willi Brandt einst angetreten war, "mehr Demokratie zu wagen". Steht die SPD und stehen wir alle dort, wo Willi Brandt einst hinwollte?

Wolfgang Clement könnte ein weiteres prominentes Mitglied einer Gruppe von Ausgeschlossenen werden. Ausschließen und Ausgrenzen ist ein asozialer Prozess, der Unfrieden stiftet und das menschliche Miteinerander stets belastet. Du gehörst nicht mehr zu uns, wir lehnen Dich ab, wir stoßen Dich aus! Das steht als Kernbotschaft hinter diesem Prozess. Der Ausschluss zielt auf die Person, nicht auf das von ihr Gesagte, das nur Auslöser für eine Ächtung ist, die vor der Person nicht halt macht, sondern sie als Subjekt für die Ächtung preisgibt.

Selbst bei Straffälligen geht man nicht diesen Weg. Resozialiserung und Integration ist dort Weg und Ziel. Nicht so in den Parteien. Dort gibt es weder Resozialisierung noch Integration. Wer in Ungnade gefallen ist, wird ausgeschlossen, selbst wenn er verdienstvoll ist und er sich nichts vorzuwerfen hat, außer eine ehrliche Antwort auf eine Frage gegeben zu haben. Das kann in einer Partei eher den "Todesschuß" bewirken, als die gesamte deutsche Öffentlichkeit zu belügen, um die Partei (und sich selbst natürlich) nicht dem Risiko des Machtverlustes auszusetzen. Welche Maßstäbe gelten hier? Sie halten weder ethischer noch logischer Prüfung stand. Es gelten die Dogmen des Mainstreams, die Regeln der Political Correctness, und wer sich ihnen nicht unterwirft, wird des Feldes verwiesen, um ihn seiner "gerechten" Strafe zuzuführen. Die Richter lassen oft nicht einmal ein Gnadengesuch zu.

Die Rufe des "Hosianna" und "Kreuziget ihn" liegen dicht beieinander. Gnade und Ungnade, Toleranz und Intoleranz sind zwei Seiten derselben Medaille. Der Liebesentzug ist die Strafe der verletzten Gefühle und empörter Eitelkeiten, nicht die Sprache der Vernunft und menschlicher Solidarität, die jedem Menschen zuteil werden sollte, gleich welche Meinung er vertritt. Aber wer in Ungnade gefallen ist, dem wird nicht nur in den Parteien allzu oft die menschliche Solidarität entzogen. Er hat wie ein Schwerstkrimineller Ehrenrechte verloren und wird wie ein Aussätziger in das Abseits gejagt. War es nicht auch bei Martin Hohmann so, oder bei Jürgen Möllemann, der dem freien Fall preisgegeben wurde?

Das "Kreuziget ihn" ist einer Demokratie und der menschlichen Würde unwürdig. Das gilt ebenso für den Umgang innerhalb wie zwischen den Parteien. Toleranz heißt, den anderen zu ertragen, auch wenn er anders ist und andere Überzeugungen hat. Demokratie lebt von unterschiedlichen, nicht aber von gleichgeschalteten Überzeugungen. Alle, die sich allzu schnell auf die Seite derjenigen stellen, die zum
"Kreuziget ihn" aufrufen", sollten an Danton denken. Die Revolution
frißt auch heute noch ihre Kinder. Das "Kreuziget ihn" hat in der Kultur einer freiheitlichen Demokratie keinen Platz. "Ertragt ihn" und "respektiert ihn" mit seiner Andersartigkeit und mit seiner Einzigartigkeit wie alle Menschen, von denen jeder sein einzigartiges Profil hat. Haben wir es nach fast 60 Jahren Bundesrepublik immer noch nicht gelernt, das "mehr Demokratie wagen" zum Teil unserer Kultur werden zu lassen? Nein, das haben viele offenkundig noch nicht.

Ein Aufklärungsseminar über Homosexualität wird vom Programm eines christlichen Jugendkongresses verbannt, Menschen, die ihre Kinder christlich erziehen wollen, werden mit Gefängnisstrafen belegt, Mann, Frau und Kind werden dem Verdikt des Gender unterworfen, und Bürger, die ihre politische Meinung vertreten, werden aus der Partei ausgeschlossen. Dies gehört alles zusammen und hat ein und diesselbe Ursache. Es ist die Unfähigkeit, Demokratie freiheitlich zu leben.

Noch mehr als eine Kultur des Hinsehens brauchen wir eine Kultur der Toleranz. Ohne Toleranz werden wir nie dort ankommen, wo Willi Brandt hinwollte. Ohne Toleranz gibt es keine humane Gesellschaft und keine Demokratie. Wir haben viel von dem bereits verloren, was die Eltern unserer Verfassung sichern wollten, weil es die Großeltern leichtfertig wegwarfen. Jeder sollte bedenken: Wer heute noch mit Steinen wirft, könnte morgen schon selbst im Glashaus sitzen und der Steinigung entgegen sehen. Am Ende könnten wir alle im Glashaus sitzen. Auch deswegen hat Kurt Beck mit Recht geraten, besonnen über die Frage eines Parteiausschlusses nachzudenken.

Unser Altbundeskanzler Helmut Schmidt formulierte bei seiner Ansprache am 20. Juli vor dem Reichstag die Maxime unseres Gemeinwesens, die auch für Wolfgang Clement und die SPD gilt: "Die Würde und das Recht des einzelnen Menschen sind das oberste Gebot - nicht nur für die Regierenden, sondern für uns alle."


Presseartikel zum Themenkreis Parteiausschluss

NZZ (02.08.08 -> Unruhe wegen des Rauswurfs des früheren Wirtschaftsministers

www.sueddeutsche.de (31.07.08) -> Chronologie der Eskalation

SPIEGEL ONLINE (2007)-> Clement droht mit Parteiaustritt