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Die SPD im Fieber - Steinmeier prescht nach vorn, Beck geht, Müntefering kommt.


07.09.08

Die SPD im Fieber - Steinmeier prescht nach vorn, Beck geht, Müntefering kommt. 

Dem Comeback von Münterfering in München soll nun ein Comeback an der Parteispitze folgen

(MEDRUM) Die SPD wird seit Monaten durchgeschüttelt. Nicht nur ein Pakt der Ypsilanti-Abteilung in Hessen mit der Partei DIE LINKE, sondern auch die Bundestagswahl im nächsten Jahr, die Umfragetiefs und das provinziale Image in den Medien haben dem SPD-Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden Kurt Beck und der SPD das Leben schwer gemacht. Rücktritt von Kurt Beck, Kür von Walter Steinmeier und Comeback von Franz Müntefering sind die Folgen.  

Auf der Klausurtagung am Schwielowsee vollzog sich heute das, was einst Caesar alia jacta est nannte. Kurt Beck zieht sich ohne Vorwarnung zurück, Steinmeier avanciert mit Vorwarnung durch die Medien zum Kanzlerkandidaten und Müntefering tritt nach seinem Rückzug in den politikfreien Raum wieder in die politischen Sphären ein, aus denen er sich vergangenes Jahr aufgrund der Erkrankung seiner zwischenzeitlich verstorbenen Frau zurückgezogen hatte.

Extra-Sendungen und Eilmeldungen in allen Medien, die exklusiv den sich überstürzenden Ereignissen in der SPD-Führung gewidmet waren, verkündeten die Neuigkeiten schon, als sie noch nicht offiziell verlautbart waren, und Kurt Beck den Ort des Geschehens bereits wieder verlassen hatte. Auf der Tagesordnung der Klausurtagung stand das Programm für den Bundestagswahlkampf 2009. Dieser Tagesordnungspunkt ist jetzt von den personellen Entscheidungen der SPD-Spitze verdrängt worden. Als geordneter Vorgang kann dies alles nicht bezeichnet werden. Die SPD hat sich schon mehrfach als eine Partei ausgewiesen, die vor Überraschungen dieser Art nicht gefeit ist.

Die SPD-Spitze will nächstes Jahr mit Außenminister Steinmeier als Kanzlerkandidat ins Bundestagswahlrennen 2009 gehen.  Das ist so überraschend nicht. Steinmeier steht als Außenminister in der Regierung fast auf Augenhöhe mit Angela Merkel. Sein Aufstieg begann unter Gerhard Schröder, der ihn den Gerüchten zufolge gedrängt haben soll, das Heft jetzt in die Hand zu nehmen. Nach dem Rückzug von Franz Müntefering im vergangenen Jahr hat er zusätzlich an Gewicht und Profil in der SPD gewonnen. Seine Umfragewerte sind auf einem Hoch, von dem Kurt Beck als Vorsitzender der großen deutschen Volkspartei SPD nur träumen konnte. Immer öfter wurde er als Spitzenkandidat ins Gespräch gebracht. Auf der heutigen Klausurtagung der SPD wurde nun amtlich, was in den Medien bereits vorab verkündet worden war: Steinmeier will und soll die SPD als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führen.

Überraschend kam jedoch die Rücktrittserklärung von Kurt Beck vom Parteivorsitz. Er ist damit in doppelter Hinsicht aus dem Rennen. Als potentieller Kanzlerkandidat und als Vorsitzender. Die SPD wird ohne Beck an ihrer Parteispitze auskommen müssen. Das war die unerwartete Sensation des Tages. Beck hatte sich nach dem ebenso überraschenden Abgang von Platzeck im April 2006 der undankbaren Aufgabe gestellt und den Parteivorsitz in einer Partei übernommen, die vor ihm so manchen Vorsitzenden verschlissen hat. 5 Vorsitzende kamen und gingen in 5 Jahren, nun ist auch er verschlissen, zermürbt. Das haben die heutigen Weichenstellungen belegt. Beck begründete seinen Rücktritt damit, dass er der Partei besonders vor dem Hintergrund der ungünstigen Haltung der Medien zu seiner Person, nicht den Dienst erweisen kann, auf den die Partei angewiesen ist. Ihm fehle die dazu nötige Kraft und Autorität. Beck hat durch seinen Rücktritt die Diskussion um ihn selbst beendet. Mit diesem Schritt hatte auch in der SPD keiner am heutigen Tage gerechnet. Wohl auch Franz Münterfering nicht, der kurzfristig befragt worden sein soll, ob er für das Amt des Vorsitzenden zur Verfügung stehe. Bis dahin wird Steinmeier den Vorsitz kommissarisch übernehmen. Schon morgen soll Müntefering als künftiger Vorsitzender im Parteivorstand vorgeschlagen werden.

Auch Müntefering gehört zu denen, die diese Partei in der Vergangenheit verschlissen hatte, oder besser gesagt, ihn beinahe verschlissen hätte. Müntefering hatte 2005 jedoch den Spieß umgedreht und die Zumutung zurückgewiesen, dass die Parteigremien dem von ihm vorgeschlagenen Generalsekretär ihre Zustimmung verweigerten. Das waren für ihn Umstände, die ihm ein Verbleiben ihm Amt unmöglich machten und seinen Rücktritt vom Parteivorsitz im Oktober 2005 begründeten, das er noch bei seiner Amtsübernahme im März 2004 als das "zweitschönste Amt neben Papst" bezeichnete.

Die Verhältnisse haben sich spätestens mit dem heutigen Tag geändert und eine zweite Überraschung beschert. Nach dem Dauertief der SPD und dem Mangel an Geschlossenheit ist Franz Müntefering in der SPD mehr gefragt als je zuvor. Kaum hat er seine erste Rede bei seinem politischen Wiedereintritt in die Parteienlandschaft im bayerischen Wahlkampf in München gehalten, zieht ihn der Sog einer Partei an deren Spitze zurück, der fast der Atem im Widerstreit um sich selbst auszugehen scheint. So wird dem Politiker Müntefering, der römisch-katholischer Konfession ist, etwas zuteil, was vor ihm noch keinem SPD-Politiker zufiel. Er soll zum zweiten Mal das Amt an der Parteispitze übernehmen, wenn es nach den SPD-Oberen geht. Er wäre nach dem ersten Vorsitzenden in der Nachkriegsära, Erich Ollenhauer, der 12. SPD-Vorsitzende. Damit wird er die Regel des "They never come back" für dieses Amt an der SPD-Spitze durchbrechen. Es selbst hat dazu mit seinen Auftritt in München einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet, in dem manche Beobachter eine unverhohlene Kritik an Beck sahen. "Wir brauchen Männer und Frauen, die führen und die deutlich machen, wohin die Reise eigentlich geht.", so Müntefering in München. Mit Spannung wird nun darauf gewartet, wie sich Müntefering bei der Rückkehr ins Amt des Vorsitzenden zu parteistrategischen und zu Sachfragen positionieren wird. Spannend dürfte insbesondere die Frage werden, welche Position er zu einem Pakt von Ypsilanti mit den Linken in Hessen beziehen wird und welche Strategie die SPD zu einer Zusammenarbeit mit der Partei DIE LINKE in den Ländern und auf Bundesebene einschlagen wird.

Es bleibt abzuwarten, ob die SPD nun gut gerüstet ist, um sich aus ihrem Tief zu erholen und eine neue Einigkeit zu finden. Sie hat jedenfalls heute in einer offensichtlichen Krisensituation den Versuch einer personellen Neuaufstellung unternommen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Ob dies glücken wird, ist eine offene Frage. Einige Beobachter nannten es eine Flucht nach vorne. Es blieb auch kein Geheimnis, das sich zwei SPD-Prominiente, insbesondere Ypsilanti, ihrer Stimme enthielten, als über Steinmeiers Kandidatur entschieden wurde. Zur Entscheidung über die Kandidatenfrage fällt eine Umfrage der Tagesschau eindeutig aus. Auf die Frage, ob es eine kluge Entscheidung sei, mit Steinmeier im nächsten Jahr ins Rennen zu gehen, antworteten von mehr als 10.000 Befragten immerhin mehr als 70 Prozent mit "JA". Interessant wäre zu wissen, was Angela Merkel auf diese Frage antworten würde. Wäre ihr ein Ministerpräsident Kurt Beck als Mitbewerber lieber gewesen? Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Walter Steinmeier heißt nun jedenfalls die Paarung für das Rennen um das Kanzleramt im nächsten Jahr, Kandidatin und Gegenkandidat, die am Kabinettstisch noch nebeneinander, nicht gegenüber sitzen. Ob der Termin 27. September als Wahltag bestehen bleibt, ist eine der vielen Fragen, die sich die politischen Beobachter schon zu stellen beginnen und noch eine geraume Zeit wiederholt gestellt werden dürfte. Die zentrale Frage wird jedoch sein, ob es am Wahltag auch ein Comeback der SPD geben wird.


MEDRUM-Artikel vom 04.09.08 ->
Müntefering gegen Wankelmütigkeit


Die SPD-Vorsitzenden der SPD in der Nachkriegsära:

1. Kurt Schumacher
2. Erich Ollenhauer
3. Willy Brandt
4. Hans-Jochen Vogel
5. Björn Engholm
6. Rudolf Scharping
7. Oskar Lafontaine
8. Gerhard Schröder
9. Franz Müntefering
10. Matthias Platzeck
11. Kurt Beck