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Der Ypsilanti-Faktor für die SPD bei der Hessenwahl


19.01.09

Der Ypsilanti-Faktor für die SPD bei der Hessenwahl

Ein Kursbetrachtung

(MEDRUM) Hessen hat gewählt. Es ist gekommen wie es kommen musste. Die SPD in Hessen hat ihr Schicksal mit Ypsilanti verknüpft und ist mit ihr untergegangen. Auch Thorsten Schäfer-Gümpel, die "Kühlerfigur" von Andrea Ypsilanti, wie ihn das "FAZ.NET" nannte, konnte dieses Schicksal nicht abwenden.

Wer allzu hoch hinaus will und ins Stolpern gerät, droht umso tiefer zu fallen. Die gestrige Wahl hat einen Schlussstrich unter die Akte "Ypsilanti" gezogen. Schon die Umfrageergebnisse, die am 06.11.08  in der ARD präsentiert wurden, ließen erkennen, dass die SPD mit Andrea Ypsilanti nicht mehr erfolgreich sein konnte. Die SPD konnte in Hessen Anfang November lediglich mit 27 Prozent der Stimmen rechnen. Ypsilanti, die sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Rolle der Spitzenkandidatin getrennt hatte, wäre chancenlos gewesen.

Wie sich gestern zeigte, war auch der Ypsilanti-Vorschlag, mit Thorsten Schäfer-Gümpel ins Rennen zu gehen, keine erfolgsträchtige Maßnahme. Die SPD stürzte fast ins Bodenlose und landete unterhalb der 24 %-Marke. Sie fiel damit von 36,7 % um 13 % und wurde mit einem Aufschlag bei 23.7 % aus allen Träumen gerissen. Noch deutlicher macht diesen dramatischen Absturz ein Blick auf die tatsächlich abgegebenen Stimmen. Die SPD verlor fast 40 % ihrer Wählerstimmen. Von 1.006.264 Stimmen bei der Wahl in 2008 gingen ihr 391.611 Stimmen verloren. Die SPD wurde aus einem Alptraum geweckt, der zur Realität wurde. Nur noch 614.653 Wähler gaben bei der gestrigen Wahl der SPD ihre Stimme. Mathematisch gesehen beträgt der Ypsilanti-Faktor also etwa 60 %. Das ist fast eine Halbierung der Stimmenzahl.

Andrea Ypsilanti schaffte es wie wohl kein Politiker oder keine Politikerin vor ihr, einen ansehnlichen Wahlerfolg im Jahr 2008 mit 36,7 % der Wählerstimmen für die SPD in eine katastrophale Niederlage am gestrigen Wahltag umzuwandeln. Bemerkenswert ist, dass sie dieses Kunststück fertigbrachte, ohne Verantwortung für falsche oder schlechte Politik übernehmen zu müssen. Ypsilanti und die SPD sind ausschließlich an ihrem parteitaktischen Kurs und der teilweise panikartigen, kopflosen Auseinandersetzung darüber gescheitert. Ihre weibliche Intuition bewahrte sie und die SPD nicht vor dem Untergang, der durch den taktischen Ypsilanti-Faktor hervorgerufen wurde.

Der Kurs von Andrea Ypsilanti führte die SPD zweifach in den Untergang. Zum ersten brachte ihr Entschluss, mit Unterstützung der Linken Roland Koch abzuwählen, das SPD-Schiff zum Kentern und machte Neuwahlen unausweichlich, als sich der Widerstand gegen einen Kurs formierte, der selbst von Gewerkschaftlern Ende Oktober 2008 als "Politposse" bezeichnet wurde. Eine Vollkenterung war die Folge. Die umtriebigen Vorbereitungen zur Machtübernahme, wie sie sich zum Beispiel bei ihrem Parteigenossen und designierten Wirtschaftsminister Scheer zeigten, der schon eine Duschkabine und einen Ruheraum in seinen vermeintlichen Amtsräumen im Ministerium für sich einplanen lassen wollte, erwiesen sich als voreilig. Scheer wollte bereits zum Duschen gehen, als zwar seine Aufstellung als Schattenminister in der Ypsilanti-Mannschaft feststand, das Spiel aber noch nicht einmal angepfiffen werden konnte. Durch die Spiel-Absage trieb das SPD-Schiff mit Kiel oben auf dem Wasser und sollte dann mit Hilfe von Thorsten Schäfer-Gümpel als neuem Kapitän wieder aufgerichtet werden. Seit gestern Abend ist es amtlich, dass dies nicht gelang. Auch dieser Kurs von Ypsilanti war zum Scheitern verurteilt.

ImageDer Rücktritt Andrea Ypsilantis von Fraktionsvorsitz und Landesvorsitz war eine Konsequenz, die nicht überraschte (Bild links, Ypsilanti bei der Erklärung ihres Rücktritts). Nicht nur die SPD hat herbe Verluste hinnehmen müssen, Ypsilanti hat auch ihr Direktmandat an die CDU-Kontrahentin Gudrun Osterburg verloren. Sie verlor im Wahlkreis Frankfurt VI 17,9 Prozent der Stimmen und rutschte auf 23,1 Prozent der Stimmen ab, also noch unter das Wahlergebnis der SPD in Hessen. Aus solchen Ergebnissen können keine Führungsansprüche mehr abgeleitet werden. Abgewirtschaftet, ist die schmerzliche Botschaft, die Ypsilanti jetzt verkraften muß. Sie hatte schon vorher viel an Rückhalt verloren und musste angesichts der dramatischen Niederlage damit rechnen, nur noch schwer Gefolgschaft zu finden.

Ypsilanti vollzog gestern den Schritt zum Rücktritt jedoch nicht, ohne der SPD ein Vermächtnis zu hinterlassen, einen Vermächtnisfaktor von Ypsilanti: Sie schlug kurz nach Bekanntwerden des Wahlabsturzes vor, dass der gestrige Wahlmitverlierer Thorsten Schäfer-Gümpel künftig die SPD in Hessen führen soll.

Vielleicht wird die Frage noch gestellt, ob es angesichts der Erfolgslosigkeit des Ypsilanti-Kurses nicht besser gewesen wäre, erst einmal in Klausur zu gehen und es den Beratungen in der Partei zu überlassen, wie sich die Partei konsolidieren und neu aufstellen will, anstatt der Partei einen Mann vorzuschlagen, dessen erstes Antreten mit einem blamablen Ergebnis belastet ist. Es gehört sicher zu den spannenden Ypsilanti-Rätseln, ob es die SPD mit Schäfer-Gümpel schaffen wird, das SPD-Schiff, das vorerst weiter mit Kiel oben schwimmt, wirklich in absehbarer Zeit wieder aufzurichten. Dies sind Fragen, die nicht nur den Genossen Scheer interessieren sollten. Es dürfte Schäfer-Gümpel schwer fallen, dem Genossen Scheer und anderen Parteifreunden einen Termin zu nennen, wann es denn etwas werden könnte, mit Duschkabinen und Ruheräumen für ambitionierte SPD-Politiker. Möglicherweise wird auch bald an die Einplanung von Gemeinschaftsduschen für Genossen von SPD und der Linken gedacht. Vielleicht sollte sich die Hessen-SPD zuvor aber tatsächlich erst in einen Raum zurückziehen und in Ruhe darüber nachdenken, ob es die richtige Strategie ist, in Hessen weiter Ypsilanti-Rätsel zu lösen und mit Gottvertrauen in die Eingebungen der bisherigen First Lady der hessischen SPD auch künftig zu gümpeln, wenn sie vom Wähler nicht mehr unfreiwillig geduscht werden will.


MEDRUM-Artikel vom 17.01.09 -> Ein Präsent von Andrea Ypsilanti

"FAZ.NET"-Artikel -> Scheer plante schon mit Duschkabine im Ministerium

"FAZ.NET"-Artikel -> Schelte und Lob von Gewerkschaften für Ypsilanti