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Der Betreuungsfall


11.11.09

Der Betreuungsfall

Heute Journal portraitiert Denkansätze zur Frage der Einführung eines Betreuungsgeldes

(MEDRUM) Das in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Betreuungsgeld bleibt vorerst ein umstrittenes Diskussionsthema. Das ZDF gab in der Sendung des Heute Journals am 08.11.09 einen Einblick in unterschiedliche Denk- und Diskussionsansätze.

Im Sendebeitrag "Koalition uneinig über Betreuungsgeld" zeigte das Heute Journal exemplarisch zwei Betreuungssituationen, die sich in der Debatte gegenüberstehen: die vierfache Mutter Valerie van Nés aus München, die ihre Kinder selbst zuhause betreut, und eine Kindertagesstätte aus Berlin-Neukölln, in der unter dreijährige Kinder betreut werden, von denen 90 Prozent aus Migrantenfamilien stammen. Größer konnte der Kontrast wohl kaum gewählt werden, an dem die gegensätzlichen Pole deutlich werden.

ImageValerie von Nés (Bild links) glaube, ihre Kinder würden am besten lernen, wenn sie in den ersten Jahren zuhause betreut würden, so der Sendekommentar. Das geplante Betreuungsgeld finde sie gut, auch wenn 150 Euro noch zu wenig seien. Valerie van Nés: "Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, einfach um zu zeigen, dass Muttersein auch etwas ganz Wichtiges ist für die Gesellschaft, und dass man auch anerkannt ist als Mutter im Dienst für die Gesellschaft."

Aus einer völlig anderen Perspektive sieht das Ines Fichtner, Leiterin der Kindertagesstätte Wartestraße Berlin, einem sozialen Brennpunktgebiet Berlins. Käme das Betreuungsgeld, würden zwei Drittel der Eltern ihre Kinder zuhause behalten, meinte Fichtner. "Keine gute Voraussetzung für die Integration der Kinder", verlautbart der ZDF-Kommentator. Fichtner stellte weiter dazu fest, mindestens vier Jahre müsse man mit den Kindern arbeiten, um eine gute Schulvorbereitung gewährleisten zu können. Würde das Betreuungsgeld eingeführt werden, würde die Kita-Zeit also zu knapp werden, meinte die Kita-Leiterin.

Auch Sozialarbeiter des Kinder- und Jugendwerks Arche Berlin argumentieren ähnlich ablehnend. Bernd Siggelkow macht keinen Hehl aus seiner Kritik am Betreuungsgeld: "Statt Betreuungsgeld lieber mehr investieren in gut ausgebildete Lehrer." Siggelkow spricht sich generell für mehr Investitionen in das Schulbildungssystem anstelle eines Betreuungsgeldes aus.

Hier stehen sich zwei unterschiedliche Familienbilder gegenüber: Betreuung der Kleinsten zuhause oder frühkindliche Bildung in der Krippe. Ursula von der Leyen würde sich in dieser Debatte derzeit zurückhalten, kommentiert das ZDF. Von der Leyen stellt den noch unverbindlichen Charakter der Aussagen im Koalitionsvertrag heraus, in dem die Geldleistung und der Gutschein als "Denkskizze" angelegt seien. Deshalb sei es richtig, heute die Grundsatzdiskussion zu führen und in ein paar Jahren, wenn die Rahmenbedingungen für Wahlfreiheit gegeben seien, weitere konkrete Schritte zu vereinbaren, so von der Leyen.

Woran sich die Politik am Ende orientieren wird, ist also offen. Eine Gutscheinlösung könnte es geben, wenn Familien aus Neukölln und aus sozialen Brennpunktgebieten zum Maßstab gemacht werden. Alle übrigen Eltern müssten dann ebenfalls mit der Gutscheinlösung Vorlieb nehmen. Sie wäre eine Art Soli der sozial stärkeren Familien für sozial Schwache und Integrationsbedürftige. Vielleicht kommt auch eine Mischlösung: Geldleistung im ersten und zweiten Lebensjahr und danach die Gutscheinlösung für die frühkindliche Bildung. De facto würde dies auf nichts anderes hinauslaufen als auf eine außerfamiliäre Kinderbetreuung ab dem dritten Lebensjahr würde der vielbeschworenen Wahlfreiheit Grenzen setzten. Der politischen Phantasie sind damit freilich noch keine Grenzen gesetzt.

Grenzen könnten in Zeiten knapper Kassen indes jedoch die Kosten sein. Würden jeweils 50 Prozent der Kinder zuhause und in der Krippe betreut, entstünden für die häusliche Betreuung etwa 600 Mio Euro, während für eine Betreuung in der Krippe ungefähr 5 Milliarden Euro an Kosten aus den öffentlichen Kassen aufzubringen wären.

Sendebeitrag des ZDF -> Video in der Mediathek



Leserbriefe

Mühsam und lähmend diese ewigen Diskussionen um ein eventuelles Betreuungsgeld ab 2013. Familien, die sich engagieren und ihre Kinder aus Überzeugung zuhause betreuen, fühlen sich unseres Erachtens nicht gestärkt. Ein kritischer Blick auf die aktuelle Situation in Kitas fehlt uns. Dort fehlt es - auch nach der Einführung des neuen Elterngeldes - an Personal. In der Kita unserer ältesten Tochter ist zur Zeit nur halbe Besetzung, viele Förderangebote fallen aus. - Unsere beiden jüngsten Kinder werden zuhause betreut. Es bleiben für uns als Familie, wenn wir auch unsere Tochter (5,5 Jahre) zuhause behalten, zusätzliche Nebenkosten, die wir monatlich für die Kita zahlen. Eine kostenlose Kita im Jahr vor der Schule gibt es nicht, Nebenkosten für Arztbesuche, Gruppenkasse, Essensgeld werden nicht erwähnt. Eltern sollten unseres Erachtens in ihrem Auftrag ernstgenommen und vom Staat ermutigt, gefördert werden. Sie brauchen keine Gutscheine für Butter, für Windeln, für Kinderwagen, sie brauchen keine Bevormundung. - Es kann sein, Eltern brauchen möglicherweise Fortbildung und Kursangebote, die vom Staat präventiv und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips unterstützt und kostenfrei angeboten werden. Angekündigt wird eine Personalaufstockung in Kitas in Berlin ab 2010. Die Pressemitteilungen nennen allerdings unterschiedliche Zahlen. Das macht uns stutzig. Und niemand verrät, wer die zusätzlichen Kosten für zusätzliche Stellen trägt. Wir können Pastor Siggelkow verstehen, sein Hintergrund ist die Erfahrung aus der Kinderarche. Dort kommen manchmal Kinder, bei denen es keine gemeinsamen Mahlzeiten zuhause gibt. Pastor Siggelkow plädiert daher dafür, dass Lehrer und Erzieher besser ausgebildet werden - und aus seiner Sicht das Geld besser dafür investiert werden sollte. Sein Hintergrund ist möglicherweise auch, dass öffentliche Gelder für dieses Projekt aus Geldmangel gestrichen werden. Dieses Projekt lebt zum größten Teil von Spenden! Das heisst doch im Umkehrschluss, dass Gelder für Institutionen nur begrenzt zur Verfügung stehen. Zusätzliche Stellen in den Kitas bleiben unsicher, wenn man an die Finanzierung denkt. Am Rande bemerkt: wieso reden wir von Betreungsgeld und nicht von "Erziehungsgeld"? Die Erzieher und Erzieherinnen in den unzähligen Kitas würden sich wehren, wenn man sie als "Betreuer" einstuft, obwohl das manchmal in der Realität so ist. Auch Begriffe wie "Herdprämie" oder "Küchengeld" halten wir für fragwürdig. A. und S.Westerbarkei, Berlin