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Das Gelöbnis des 20. Juli vor dem Berliner Reichstag


24.07.08
Das Gelöbnis des 20. Juli vor dem Berliner Reichstag

Eine Parlamentsarmee vor ihrem Parlament
von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Das öffentliche Gelöbnis am 20. Juli vor dem Gebäude des Reichstags in Berlin führte im Vorfeld zu unerfreulichen Reaktionen und Debatten. Die deutschen Volksvertreter gerieten wegen ihres Desinteresses und ihrer teilweisen Ablehnung in die Schlagzeilen.

Der Tag des 20. Juli wurde als ein traditionswürdiger und symbolkräftiger Tag auserwählt, weil er sich in besonderer Weise eignet, um 500 Bundeswehrrekruten ihr Feierliches Gelöbnis für die freiheitliche Demokratie ablegen zu lassen. Diese jungen Soldatinnen und Soldaten repräsentieren eine Armee, die durch zwei herausragende Merkmale geprägt ist: Sie ist eine Wehrpflichtarmee, und sie ist Parlamentsarmee. Sie kommt aus dem Volk und über ihren Einsatz bestimmen diejenigen, die durch das Volk bestimmt sind, es als Souverän zu vertreten. Das Volk übereignet damit seine Soldatinnen und Soldaten, die sein Recht und seine Freiheit verteidigen sollen, seinen gewählten Repräsentanten. Eine bessere ideelle Verbindung zwischen Armee und parlamentarischer Demokratie könnte es nicht geben.

Dennoch haben viele Volksvertreter mit geringem Interesse, teilweise distanziert oder gar ablehnend reagiert, als die Absicht kundgetan wurde, das Gelöbnis am Tag des Widerstands gegen Nationalsozialismus dieses Jahr erstmals vor dem Reichstag zu veranstalten. Der verteidigungspolitische Sprecher der Partei DIE LINKE, Paul Schäfer, verstieg sich sogar zu der irrwitzigen Behauptung, das Gelöbnis vor dem Reichstag sei ein durchschaubarer Trick zur Imagepolitur. Wer soll es denn bitte nötig haben, sein Image zu polieren? Die Bundeswehr ganz gewiß nicht.

Die deutschen Streitkräfte genießen in der Bevölkerung - im Gegensatz zur Partei DIE LINKE - ein hohes Maß an Vertrauen. Diese Armee leistet seit Jahrzehnten Vorbildliches bei Katastrophen- und Hilfseinsätzen, und seit gut anderthalb Jahrzehnten auch bei Einsätzen zur Stabilisierung und Erhaltung des Friedens in Europa und anderen Teilen dieser konfliktreichen Welt. Nicht wenige haben diesen Dienst für den Frieden mit dem Verlust ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit bezahlt.

Die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten schlagen sich in der Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Bundeswehr eindrucksvoll nieder. Bei einer Umfrage im Jahr 2006 gaben 82 Prozent der Deutschen an, sie seien der Bundeswehr „sehr positiv“, „positiv“ oder „eher positiv" eingestellt. Das sind Vertrauenswerte, von denen eine unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende Partei nur träumen kann. Wer also hat Imagepflege nötig? Hat der Sprecher der LINKEN diese Zusammenhänge durchdacht, als er linken Trieben folgend das Gelöbnis unserer Streitkräfte in einen Hinterhof verbannen wollte? Wohl kaum. Er hat mit seinem fragwürdigen Einwand vielmehr diejenigen linken Gruppen bestärkt, die zum Aufmarsch gegen eine würdevolle Veranstaltung geblasen hatten. 1800 Polizeibeamte wurden vorsorglich in Stellung gebracht, um Störungen der sich formierenden Protestgruppen begegnen zu können. Damit hat DIE LINKE dem Ansehen der Parlamentarier und sich selbst einen Bärendienst erwiesen.

Auch Berliner Beamte des zuständigen Grünflächenamtes hatten wohl einige Zusammenhänge nicht durchdacht oder nicht verstanden. Sie hatten im Juni den Antrag der Bundeswehr abgelehnt, das traditionelle Gelöbnis auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag abzuhalten. Dagegen hatten die Berliner Beamten wie FOCUS ONLINE am 10. Juli berichtete unter anderem argumentiert, zu viele öffentliche Ereignisse vor dem Reichstag seien nicht „mit der Würde des Ortes“ vereinbar. Ist die Bundeswehr also ein würdeloses Verfassungsorgan? Wohl nur aus einer auf Rasenflächen verengten Amtsperspektive. Würdelos scheint daher schon eher die Fehlsichtigkeit jener Amtsschimmelbürokraten gewesen zu sein, die glaubten, dieses Gelöbnis vom Platz vor dem Reichstag hinweg verordnen zu können. Die berechtigte Empörung ließ dementsprechend auch nicht lange auf sich warten.

Das Interesse der Bundestagsabgeordneten, am Feierlichen Gelöbnis teilzunehmen, war letztlich dennoch gering. Die Loyalität der Streitkräfte und der Soldaten zu ihrem Parlament ist über Zweifel erhaben. Es wäre gut gewesen, wenn diese Loyalität auch in der Präsenz von Abgeordneten ihre Anerkennung gefunden hätte. "Peinlich" sei es jedoch gewesen, urteilte das Deutschlandradio, dass "auch bei den Bundespolitikern das Interesse an der Zeremonie gelinde gesagt bescheiden" gewesen sei. Erst in letzter Minute sagte Bundeskanzlerin Merkel noch ihre Teilnahme zu, ebenso wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Der ehemalige "Vier-Sterne-General Klaus Reinhardt sah in der zögerlichen und halbherzigen Präsenz das sichtbare Zeichen für das mangelnde Interesse der deutschen Politik an der Bundeswehr. Die Abwesenheit vieler Politiker zeige dies, sagte Reinhardt. Das Interesse der Parlamentarier an ihrer Parlamentsarmee war aus Sicht von General a.D. Reinhardt alles andere als überzeugend. Bestenfalls habe man ein "freundliches Desinteresse", meinte er.

Als ermutigend kann dennoch gewertet werden, dass die positiven Stimmen, die sich nach der "Treueschwur-Premiere" vor dem Reichstag erhoben, für die Zukunft Besseres verheißen. Die Veranstaltung wurde von der Politik als Erfolg gewertet. Einige Politiker, darunter der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Reinhold Robbe (SPD) und der Generalsekretär der FDP, Dirk Nebel, regten sogar an darüber nachzudenken, ob dieses Gelöbnis künftig nicht regelmäßig vor dem Reichstag stattfinden könne. Man möchte ihnen mit Josef Joffe, dem Herausgeber der "Zeit" zurufen: "Wo sonst, als vor dem Sitz des Volkssouveräns soll der Satz des Gelöbnisses gesprochen werden?
Eine sinnfälligere Kulisse als die des Parlaments kann es für eine demokratische Armee gar nicht geben." Besonders nicht am Tag des Widerstands gegen die Diktatur des Verbrechens.


Leserbriefe

Es ist schön, dass die neuesten Bundeswehrrekruten vor em
Reichstagsgebäude das Gelöbnis haben ablegen dürfen. Was aber sehr schade, um
nicht zu sagen eine Schande, ist, ist die Tatsache, dass nur eine Hand voll
prominenter Politiker dem Gelöbnis beigewohnt haben. Da das diesjährige
Gelöbnis vor dem nunmehrigen Parlamentsgebäude der Bundesrepublik Deutschland.
nämlich dem Reichstagsgebäude stattgefunden hat, hätte es beileibe nicht
geschadet, wenn so gut wie alle Bundestagsabgeordneten das Dahinterstehen
hinter den Rekruten durch ihre Anwesenheit kundgetan hätten, denn immerhin ist
unsere Bundeswehr eine Parlamentsarmee, weil sie ihren Dienst im Auftrag des
Deutschen Bundestages ausübt.

Es ist eine Schande, dass auf mehrseitigen Druck, es nur
einer Hand voll Politikern gefallen hat, sich auf den Weg vom Bundestagsgebäude
auf den Platz vor dem Reichstag zu bequemen. Dass sich die
LINKE-Abgeordneten überfordert fühlen, an dem Gelöbnis teilzunehmen, ist
nachvollziehbar, da ja ihre Vorgängerpartei, nämlich die SED selbst eine sich
nicht gerade mit Ruhm bekleckerte Nationale Volksarmee als eines ihrer
Werkzeuge gebraucht hatte. Aber die Abgeordneten der
freiheitlich-demokratischen Parteien hätten wenigstens durch ihre Anwesenheit
den Rücken der neuen, künftig ihr Leben riskierenden Rekruten stärken können;
denn immerhin lassen sie möglicherweise ihr Leben nicht nur für ihr deutsches
Vaterland, sondern auch für die Freiheit anderer Völker in der Welt, wie man
schon an dem Tod der bisher im Einsatz gewesenen deutschen Soldaten gesehen
hat. Aber kann man das von den Abgeordneten, die gerne sehr schnell ihre Diäten
erhöhen, überhaupt verlangen...?

Axel Peratoner, Celle