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Christian Wulff unter erdrückendem Korruptionsverdacht


15.01.12

Christian Wulff unter erdrückendem Korruptionsverdacht

Juristisches Gutachten sieht massive Verstöße gegen Verbot der Vorteilsannahme und geltende Gesetze im Ministerpräsidentenamt

(MEDRUM) Der christdemokratische Politiker Christian Wulff, ehemaliger Ministerpräsident von Niedersachsen und amtierender Bundespräsident, steht unter erdrückendem Korruptionsverdacht. Dies geht aus einem umfassenden juristischen Gutachten des Rechtsprofessors Hans Herbert von Arnim hervor, das die „Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ)” veröffentlicht.

Hans Herbert von Arnim: Vorteilsannahme des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff?

Anlass für eine juristische Analyse unter der Überschrift "Vorteilsannahme des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff?" von Hans Herbert von Arnim ist die seit Wochen anhaltende Debatte über Christian Wullf und seine Handlungen während seiner Amtszeit als Ministerpräsident von Niedersachsen. Ausgelöst wurde die Diskussion durch die Veröffentlichung von Einzelheiten über einen Privatkredit, den Christian Wulff 2008 von dem mit ihm befreundeten Ehepaar Egon und Edith Geerkens erhalten hatte (BILD-Online vom 12.12.2011). Die Beziehung zu Egon Geerkens war zuvor bereits Gegenstand einer Anfrage im niedersächsischen Landtag, wurde aber von Christian Wulff in einer Weise beantwortet, die die tatsächlichen Verhältnisse und Beziehungen zu Geerkens und dessen Ehefrau Edith Geerkens verschleierte (Auszug aus Plenarprotokoll im Anhang beigefügt).

Wie von Arnims Analyse aufzeigt, stand die Gewährung des Privatkredits über 500.000 Euro an Christian Wulff im engen zeitlichen Zusammenhang mit bestimmten Amtshandlungen als Ministerpräsident:

  • 1. Oktober 2008: Wulff schließt den Kaufvertrag über das Haus ab (die Finanzierung und Kreditzusage musste zu diesem Zeitpunkt bereits gesichert sein)
  • 2. Oktober 2008: Wulff nimmt Egon Geerkens erstmals auf eine Ministerpräsidenten-Reise mit (nach China und Indien, Rückkehr am 11. Oktober)
  • 25. Oktober 2008: Gewährung des Privatkredits über das Konto von Edith Geerkens
  • 14. März 2009: Wulff nimmt Geerkens erneut auf Ministerpräsidenten-Reise mit (nach Japan, Rückkehr am 21.3.2009)
  • 29. September 2009: Wulff nimmt von Geerkens wiederum auf eine Ministerpräsidenten-Reise mit (nach USA, Rückkehr am 5. Oktober)
  • 10. Februar 2010: Parlamentarische Anfrage im niedersächsischen Landtag nach einer Geschäftsbeziehung mit Egon Geerkens, die Wulff am 18. Februar durch die Staatskanzlei in Abrede stellen lässt
  • 27. März 2010: Wulff löst den Privatkredit von Geerkens durch ein Darlehen der BW-Bank ab

"Erdrückende Indizien"

Von Arnim stellt dazu fest: "Die Auswahl und Zulassung der Mitreisenden stellt eine amtliche Handlung des Ministerpräsidenten dar." Dabei, so von Arnim, sind "Amtsträger von Verfassungs wegen allein auf das Gemeinwohl verpflichtet" und dürfen sich "nicht von privaten Interessen und Freundschaften leiten lassen". Falls die Mitnahme des Egon Geerkens auf Auslandsreisen durch den Ministerpräsidenten „aus reiner Freundschaft“ erfolgt sei, wäre das bereits unzulässig, so von Arnim weiter. Dafür spreche ja auch, dass Geerkens sich bereits ins Privatleben zurückgezogen hatte. Der Ministerpräsident dürfe von Rechts wegen keine Vetternwirtschaft betreiben. Von Arnim begründet dann ausführlich im Einzelnen, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass Wulff gegen das Ministergesetz von Niedersachsen, gegen dabei anzuwendende Vorschriften sowie gegen strafrechtliche Bestimmungen der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) verstoßen hat. Von Arnim spricht in diesem Zusammenhang von "erdrückenden Indizien", die für einen vorsätzlichen Verstoß gegen das strafrechtliche Verbot der Vorteilsannahme sprechen. Nach von Arnims Analyse scheint es auch nicht ausgeschlossen, dass sogar die gravierenderen Bestechungsdelikte der §§ 332 und 334 des StGB vorliegen.

Staatsanwaltschaften und Gerichte dürfen nicht kaltgestellt werden

Die juristische Verfolgung von Verfehlungen, die Wulff zur Last gelegt werden müssten, ist nach der Einschätzung des Rechtsprofessors jedoch keineswegs selbstverständlich. Es bestehe vielmehr der Anschein, Staatsanwälte und Gerichte könnten "kaltgestellt werden". Darin sieht von Arnim entscheidende Gründe für seine Analyse, zu der er sagt: "Die juristische Analyse ist besonders angezeigt, wenn der Anschein entsteht, Staatsanwaltschaften und Gerichte könnten kaltgestellt werden, und deshalb die Behauptung des Bundespräsidenten, er habe als niedersächsischer Ministerpräsident stets legal gehandelt, einer gerichtlichen Klärung entzogen zu werden droht. Entscheidet die politische Macht in eigener Sache, ist eine Kontrolle durch Öffentlichkeit, parlamentarische Opposition und Wissenschaft umso wichtiger. Vielleicht können auch nur sie einer Staatsanwaltschaft, die bis hinauf zum Justizminister weisungsgebunden ist, Beine machen und sie sozusagen zum Jagen tragen."

Transparency International für Entscheidung durch den Niedersächsischen Staatsgerichtshof

Wegen der bisher fehlenden Aufklärung von Verstößen gegen das niedersächsische Ministergesetz hatte die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International die Teilnahme am Neujahrsempfang des Bundespräsidenten abgesagt. Die Vorsitzende von Transparency Deutschland, Edda Müller hatte dazu erklärt: "... Weiterhin steht nach wie vor der Vorwurf des Verstoßes gegen das niedersächsische Ministergesetz im Raum. Hierzu wäre eine neutrale Entscheidung durch den Niedersächsischen Staatsgerichtshof angebracht."

Veröffentlichung des Gutachtens in einer Extra-Ausgabe der NVwZ

Das Gutachten von Hans Herbert von Arnim ist als Extra-Ausgabe "NVwZ-Extra 3/2012" im Internet vorab veröffentlicht

Vorteilsannahme des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff?

Herausgeber der NVwZ sind: Prof. Dr. Rüdiger Breuer, Bonn – Prof. Dr. Martin Burgi, Bochum – Dr. Josef
Christ, Richter am BVerwG, Leipzig – Prof. Dr. Klaus-Peter Dolde, Rechtsanwalt, Stuttgart –
Prof. Dr. Thomas Mayen, Rechtsanwalt, Bonn – Dr. Hubert Meyer, Geschäftsf. Vorstandsmitglied
des Niedersächsischen Landkreistages, Hannover – Prof. Dr. Janbernd Oebbecke, Münster –
Prof. Dr. Karsten-Michael Ortloff, Vors. Richter am VG a. D., Berlin – Dr. Stefan Paetow,
Vors. Richter am BVerwG a. D., Berlin – Prof. Dr. Joachim Scherer, Rechtsanwalt, LL.M., Frankfurt
a.M. – Dr. Heribert Schmitz, Ministerialrat, Berlin – Prof. Dr. Friedrich Schoch, Freiburg –
Prof. Dr. Rudolf Streinz, München.

Dr. iur. Dipl.-Volkswirt Hans Herbert von Arnim ist Universitätsprofessor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (Ordentliches Mitglied des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung  und Leiter der Sektion I - Modernisierung von Staat und Verwaltung ) und Autor verschiedener Bücher zu Grundfragen von Staat und Gesellschaft.


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Leserbriefe

Ob erdrückender Korruptionsverdacht oder nicht: Das Amt des Bundespräsidenten ist zum Ziel von Spott und Hohn geworden, dabei spielen die Ursachen kaum mehr eine Rolle. Jeder Bundespräsident sollte daraus Konsequenzen ziehen. Schande aber auch über die Volksvertreter und Politiker, die nicht in der Lage sind, einen integren Bundespräsidenten im Amt zu halten (Köhler) oder aber einen Bundespräsidenten aus Weisheit und nicht aus politischem Kalkül heraus zu wählen.

Ich gebe Ihnen völlig Recht. Leider wird er noch von Kirchenseiten verteidigt. Man hätte lieber Herrn Köhler verteidigen sollen und ihm zureden, doch nicht abzudanken. Er war der richtige Mann.