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Erziehung durch Elternhaus oder Staat?


09.09.09

Erziehung durch Elternhaus oder Staat?

Antworten des Erziehungswissenschaftlers Albert Wunsch zu Elternverantwortung und einer Kindergartenpflicht

(MEDRUM) Das Elternrecht zur Pflege und Erziehung der Kinder und der Wille von Politikern, die Erziehung von Kindern aus Gründen des Kindeswohls mehr in staatliche Hände zu legen, stehen in einem Spannungsverhältnis, das auch an der Frage sichtbar wird, ob nicht eine Kindergartenbesuchspflicht eingeführt werden sollte. Fragen zu dieser Problematik wurden dem Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch gestellt.

Wer hat die Erstverantwortung für die Pflege und Erziehung von Kindern? Wie weit darf und soll der Staat in die elterliche Verantwortung eingreifen? Diese Fragen sind immer wieder Gegenstand von Debatten in der Politik und Gesellschaft, in der Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Die CDU/CSU schreibt in ihrem Regierungsprogramm, dass sie die Integrationskraft von Kindergärten und Schulen verstärken will. Sie strebt eine frühe Förderung von Kindern an, die insbesondere auch Zuwandererfamilien helfe. Ebenso sieht die SPD in der Integration eine zentrale Aufgabe und kündigt den Ausbau und eine besondere Förderung von Kindern in Kindergärten an, um Chancengleichheit in Schule und Beruf zu ermöglichen. Auch wenn es nicht explizit in den Wahlprogrammen von SPD und CDU steht, stand die Idee eines verpflichtenden Kindergartenjahres bereits wiederholt im Raum der politischen Diskussion. So sprach sich Ursula von der Leyen bereits 2006 dafür aus zu überlegen, ob nicht ein verpflichtendes Kindergartenjahr zur besseren Förderung der Kinder eingeführt werden sollte. Auch Politiker aus den Reihen der SPD und der Grünen wie zum Beispiel Volker Beck hatten ein Kindergartenpflichtjahr empfohlen. So stellen die Grünen im Entwurf ihres Wahlprogrammes fest: "Wir können es uns nicht leisten, auf viele Mütter und auch Väter im Berufsleben zu verzichten, bloß weil es nicht ausreichend Plätze in Kitas und Kindergärten gibt. ... Außerdem darf das ab 2013 geplante Betreuungsgeld nicht eingeführt werden. Denn damit werden gerade die Kinder, die die Förderung und Unterstützung dringend bräuchten, von Kitas und Kindergärten ferngehalten, weil die Eltern für's zu-Hause-Betreuen Geld bekommen."

Die Frage einer verpflichtenden Förderung von Kindern in Kindergärten und die Unterstützung der Betreuung von Kindern im Elternhaus könnte auch in der neuen Legislaturperiode wieder auf die politische Tagesordnung geraten. Der Erziehungswissenschaftler Albert Wunsch nimmt Stellung zu der Frage, wie die Erziehung und Förderung von Kindern aus seiner Sicht am sinnvollsten unterstützt werden sollte.

MEDRUM: Könnten Sie als Erziehungswissenschaftler der Idee etwas abgewinnen, einen verpflichtenden Kindergartenbesuch einzuführen, um Kinder in ihrer Entwicklung besser zu fördern?

ImageWunsch: Kurz gesagt, gar nichts. Denn eine per Gesetz geregelte Verpflichtung zum Kindergartenbesuch ist eine Bevormundung bzw. Entmündigung. Sie drückt aus, den Eltern weder Einsicht noch Mitverantwortung zuzutrauen. So werden Väter und Mütter nicht zur Wahrnehmung einer qualifizierten Erziehungsleistung herausgefordert, sondern statt dessen weitgehend kalt gestellt, um durch den Kindergarten - quasi unter staatlicher Aufsicht - die wichtigsten Lebensvorbereitungen zu übernehmen. Für eine christliche Politik ist dies gleichzeitig ein Offenbarungseid, eigene Grundpositionen aufgegeben zu haben. Denn ein christliches Menschenbild setzt Eigen-Verantwortlichkeit und Selbst-Tätigkeit voraus. Statt etwas per Gesetz zur Pflicht zu machen, sollten ganz gezielt - auch finanzielle - Anreize für eine qualitative Verbesserung der Kinder-Erziehung in der Kooperation von Eltern und Kindergärten geschaffen werden, z.B. durch einen Bonus zum Kindergeld beim Nachweis von Elternqualifikations-Seminaren. Dies hätte zur Folge, dass Engagement honoriert und nicht Mangel und Unvermögen finanziert würde.

MEDRUM: Übersehen Sie dabei nicht, dass es nicht wenige Kinder gibt, die aufgrund ungünstiger Bedingungen in ihrem Elternhaus in ihrer geistigen und sozialen Entwicklung benachteiligt sind, wenn sie keinen Kindergarten besuchen?

Wunsch: Natürlich ist der Kindergarten eine wichtige Institution, gerade für Kinder mit offenkundigen Defiziten, ob im Sprachverhalten, der sozialen Entwicklung oder im Bereich der Konzentrationsfähigkeit, um nur einige zu nennen. Dieser kann aber nur effektiv im Zusammenwirken mit den Eltern durch eine kontinuierliche Befähigung zwischen Förderung und Herausforderung erfolgen. Außerdem müsste ein breite Diskussion über die Konzepte einer angemessenen Kindergarten-Pädagogik im Zusammenwirken von Fachkräften und Eltern einsetzen. Per Gesetz lässt sich jedenfalls keine elterliche Mangelerziehung zwischen Unvermögen, Überforderung und Gleichgültigkeit reduzieren. Bisher ist ja auch noch keiner auf die Idee gekommen, per Gesetz zu regeln, dass Menschen vor dem Sprechen den Verstand einschalten und die Verantwortung für Ihre Äußerungen nicht ausgrenzen sollen, obwohl die Überwindung dieses Mangels in Politik und Gesellschaft einen rasanten Innovations-Schub auslösen würde.

MEDRUM: Sie trauen es also qualifizierten Fachkräften und Erziehern nicht zu, Benachteiligungen durch Defizite im Elternhaus auszugleichen?

Wunsch: Was heißt hier Zutrauen. Im Kern geht es um die leicht variierte Gretchenfrage: ‚Staat, wie hast du's mit der Elternverantwortung‘? Setzt du auf Befähigung und gute Rahmenbedingungen für eine Erziehung im Elternhaus, oder springst du auf ein öffentliches Versorgungsmodell zwischen Kinderkrippe und Ganztagsschule? Und die Gegenfrage müsste lauten: Eltern, wie habt ihr's denn mit eurer Erziehungsverantwortung? Wurde sie schon kommentarlos der Öffentlichkeit untergeschoben oder nehmt ihr noch die Erstverantwortung für das Aufwachsen eurer Kinder wahr? - Die Fakten zeigen, in welche Richtung es geht. Das Bundesverfassungsgericht wird zum Anwalt von Kindern und fordert vom Gesetzgeber eine Stärkung der Elternverantwortung. Die Eltern ordnen die Kinder-Erziehungsverantwortung der Erwerbstätigkeit unter. Die Politik setzt auf immer mehr ganztägige Betreuungsangebote. Legislative und Judikative liegen im Clinch und die Eltern scheint die Auseinandersetzung gar nicht zu interessieren. Armes Kinder-Deutschland.

MEDRUM: Wo müsste denn Ihrer Auffassung nach die Politik ansetzen, wenn Kinder besser gefördert werden sollen?

Wunsch: Egal welche demokratische Partei das Thema ‚Optimierung der Erziehungs- und Aufwachsbedingungen' aufgreift, gut ist, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte in diese Verbesserung kräftig investieren. Die Optimierung der Datenerfassung der Vorsorgeuntersuchungen, eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Kinderärzten, Kindergärten bzw. Jugendämtern und ein Herauskommen aus dem ‚Angebots-Charakter' von Erziehungsgesprächen und Elternseminaren in den Kindergärten sind hier beispielhaft zu nennen. Aber solange nicht die Förderung und Qualifizierung der elterlichen Erstverantwortung für die Erziehung der Kinder im Zentrum steht, wird es letztlich auch keine verbesserten Bedingungen des Heranwachsens der nächsten Generation geben. Und wer glaubt, wenn Kinder eine gute Zeit im Kindergarten hätten, wären die möglichen Mängel in den restlichen Zeiten innerhalb einer Woche hinnehmbar, lügt sich selbst etwas in die Tasche. Dann ist schon besser, bei den Eltern anzusetzen und den Kindergarten für seine erzieherische Ergänzungsfunktion besser personell und sachlich auszustatten.

MEDRUM: Ist es nicht dennoch erforderlich, die Erziehung der Kinder mehr in staatliche Hände zu legen, um der Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern vorzubeugen? Haben die tragischen, medienbekannten Fälle nicht gezeigt, dass die Politik reagieren muß, um das Kindeswohl staatlicherseits zu schützen?

Wunsch: Wenn von Politikern das Wort ‚Kindeswohl' gebraucht wird, steigt in mir von Tag zu Tag stärker das ungute Gefühl hoch, dass dieser - an sich gute - Begriff als Keule für die Durchsetzung unterschiedlichster politischer Überzeugungen genutzt wird. Mir liegen auf jeden Fall keine fundierten Untersuchungsergebnisse vor welche belegen, dass beispielsweise die Betreuung von Säuglingen in Kinderkrippen dem Kindeswohl dient. Nein, würden Kinder gefragt, was ihnen gut täte, stünde auf keinen Fall eine frühe Entfernung von Papa und Mama auf der Äußerungsliste. Das es auch Gründe für eine Unterbringung von Kindern in Krippen gibt, sollte aber nicht dazu führen, dies mit: ‚dem Kindswohl dienend' zu begründen. Wenn stattdessen gesagt würde, wir haben Zugeständnisse an die Berufswelt, finanzielle Bedürfnisse oder ans Karrieredenken gemacht, dann wäre dies wenigsten ehrlich. Aber Kinder brauchen Elternhäuser und keine Verschiebebahnhöfe zwischen öffentlicher Ganztagsbetreuung und familiärem Nachtquartier.

Copyright: Dr. Albert Wunsch

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Dr. Albert Wunsch (64) lehrt unter anderem Konzepte zur Elternqualifikation und zur frühkindlichen Bildung an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Köln. Der Diplom-Sozialpädagoge, Psychologe und promovierte Erziehungswissenschaftler (Psychologie, Pädagogik, Kunst) ist Dozent für Erziehungswissenschaft, Elementarpädagogik und Konzepte der sozialen Arbeit und ist auch an der Philologischen Fakultät der Universität Düsseldorf als Lehrbeauftragter tätig. Darüber hinaus arbeitet er in einer eigenen Praxis als Paar-, Erziehungs- und Konfliktberater.

ImageAlbert Wunsch ist durch Auftritte in Fernsehsendungen wie durch seine Publikationen, insbesondere durch seine Bücher "Abschied von der Spaßpädagogik" und "Die Verwöhnungsfalle" bekannt. Er spricht sich für einen Kurswechsel in der Erziehung aus und fordert dazu eine Abkehr von hohem Anspruchsdenken und extremem Egoismus, eine andere Mitwirkung der Schulen, die eine Kultur der Anstrengung fördern müssen, und eine Familienpolitik, die die elterliche Erziehung (auch finanziell) fördert und nicht dafür sorgt, dass Kinder schon in den ersten Lebensjahren in eine ganztägige Fremdversorgung abgeschoben werden, wie es durch das familienpolitisch verordnete Krippenausbauprogramm der Bundesregierung ermöglicht werden soll.

Weitere Information www.albert-wunsch.de

Kontakt - email: albert.wunsch(at)gmx.de


Volker Beck -> Kinderbetreuung verbessern - Kindergartenpflichtjahr einführen

Die Grünen -> Grüne fordern Kindergartenpflichtjahr für bessere Integration