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Merkel: "Sarrazin spaltet die Gesellschaft"


05.09.10

Merkel: "Sarrazin spaltet die Gesellschaft"

Kontroverse Antworten zur Frage: "Wer oder was spaltet wen?"

(MEDRUM) Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Kritik an Thilo Sarrazin verschärft. Im Interview mit BILD AM SONNTAG wirft sie dem Noch-Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank vor, die Gesellschaft zu spalten.

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Merkel meinte in BILD AM SONNTAG (BamS), es solle nicht über Sarrazin, sondern über Integration geredet werden. Dennoch äußerte sich die Bundeskanzlerin auch selbst über Thilo Sarrazin: "Zur Lösung der Probleme trägt er gar nichts bei, er erschwert sie im Gegenteil. Er fällt Pauschalurteile, spaltet die Gesellschaft und macht eine ganze Bevölkerungsgruppe verächtlich." Zum eingeleiteten Entlassungsverfahren gegen Thilo Sarrazin aus der Bundesbank durch den Bundespräsidenten erklärte der Sprecher des Staatsoberhauptes, es werde "selbstverständlich ausschließlich nach Recht und Gesetz" durchgeführt (BamS).

Die beiden Schriftstellerinnen Necla Kelek und Monika Maron sahen die Dinge im Interview mit der WELT anders. Nicht Sarrazin, sondern die Diskussion um sein Buch spalte das Land. Auf die Monika Maron bereits am 2. September von der WELT gestellte Frage, "Hat Kanzlerin Merkel recht, wenn sie sagt, Sarrazin spalte das Land?", antwortete sie: "Nicht Sarrazin, sondern die Diskussion um sein Buch spaltet das Land. Sarrazin belegt einen Zustand, den eine Mehrheit empfindet und erlebt, mit Zahlen und nennt die Integration eine Bringschuld der muslimischen Zuwanderer, die als einzige Migrantengruppe auch nach drei Generationen schwere Integrationsdefizite aufweist."

Necla Kelek schilderte der WELT, wie es dazu kam, daß sie das Buch von Thilo Sarrazin vorstellte, und stellte fest: "Wie Heinz Buschkowsky bin ich der Meinung, dass Sarrazin die Situation in Sachen Bildung, Armut und Integrationsprobleme richtig analysiert, das Buch also hilfreich ist. Aber bevor ich das Buch überhaupt in der Hand hatte und auch zu Ende lesen konnte, kamen die ersten Verrisse."

Klar ist auf jeden Fall, daß die Debatte über das Buch von Sarrazin und der bevorstehende Rausschmiß bei der Bundesbank und der SPD das Potential hat, die Parteienlandschaft zu spalten. Einer "Sarrazin"-Partei könnte nach einer Umfrage von BILD ein Wählerpotential von 18 Prozent zugeordnet werden.

Nach Parteianhängern gaben bei der BILD-Umfrage an, Angabe in Prozent:

  • SPD: JA 9 / NEIN 86
  • CDU/CSU: JA 17 / NEIN 81
  • Grüne: JA 10 / NEIN 88
  • FDP: JA 12 / NEIN 68
  • Linke: JA 29 / NEIN 66
  • Sonstige: JA 54 / NEIN 40

Der Schuß der Parteien gegen Sarrazin könnte also zumindest theoretisch nach hinten losgehen und zur Selbstverstümmelung führen. Theoretisch deshalb, weil Sarrazin eindeutig erklärt hat, daß er nicht mehr als Politiker aktiv werden will.

Auf Pro-Sarrazin-Partei-Einstellungen bei den Wählern deutet auch die laufende Leser-Umfrage von MEDRUM hin. Über 90 Prozent der Umfrageteilnehmer halten eine solche Partei weder für überflüssig noch für schädlich, sondern sehen darin eher ein Korrektiv, das dem Interesse der Bevölkerung dienen könnte.

Zur Umfrage: → Eine Sarrazin-Partei - überflüssig, schädlich oder nützliches Korrektiv für die Bevölkerung?


In den Medien:

05.09.10 Bild Haben die Politiker selbst viele Fehler gemacht, Frau Merkel?
05.09.10 Süddeutsche Zeitung Sarrazin gegen Wulff, Wulff gegen Sarrazin
02.09.10 WELT "Nicht Sarrazin, sondern die Diskussion spaltet das Land"

MEDRUM-Artikel:


 

Leserbriefe

Wer die aufgeregten rot-grünen Gutmenschen in den unendlich vielen TV-Gesprächen erlebt hat, weiss, wer das Land spaltet: Es sind die, die bisher schon an den Gefühlen der Menschen vorbei die Integrationspolitik bestimmt haben. Jetzt wird den Menschen im Lande auch noch von lautstarken Politikerinnen und Politikern ein schlechtes Gewissen gemacht, weil sie der Analyse von Sarrazin zustimmen. Natürlich hätte Sarrazin alles auch ohne die problematischen Ausflüge in die Gen-Biologie sagen können. Niemand kann aber leugnen, dass es gruppenspezifisches Verhalten gibt. Wenn dieses beschrieben wird, wie Sarrazin es mit viel Problemkenntnis tut, dann entlastet das die einzelnen Gruppenmitglieder moralisch. Denn niemand hat sich selbst in seine Primärgruppe hineingeboren. So wird zugleich deutlich, an welchen konkreten Punkten die Arbeit auf beiden Seiten ansetzen muss. Die ekelhafte Sarrazin-Diskussion der Gutmenschen zeigt unfreiwillig, dass das Gutmenschentum eine Illusion ist, die dem Härtetest eines ernsthaften Konflikts nicht standhalten kann.