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Ein Ethikrat und drei Voten zur PID


08.03.11

Ein Ethikrat und drei Voten zur PID

Der Deutsche Ethikrat nimmt Stellung zur Präimplantationsdiagnostik für die Selektion von Embryonen

(MEDRUM) Der Deutsche Ethikrat hat heute seine Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik herausgegeben. Das Fazit: Die Ethiker sind sich uneins in der Frage, ob die PID zugelassen werden soll oder nicht. Ein klare Mehrheit für den Schutz von Embryonen gibt es nicht.

Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates umfasst über 100 Seiten. Für eine generelle Freigabe der PID spricht sich kein Mitglied des Ethikrates aus. Am Ende gibt der Rat jedoch drei Voten ab, die sich erheblich unterscheiden. Eine klare Mehrheit für ein gesetzliches Verbot der PID gibt es nicht. Die Hälfte der insgesamt 26 Mitglieder hat sich für eine begrenzte Zulassung der Selektion von Embryonen ausgesprochen.

  1. Votum für eine begrenzte Zulassung einer Präimplantationsdiagnostik (13 Mitglieder)
  2. Votum für ein gesetzliches Verbot der PID (11 Mitglieder)
  3. Sondervotum für eine Zulassung der PID mit einer verbindlichen Indikationsliste (1 Mitglied).

Votum für die begrenzte Zulassung einer Präimplantationsdiagnostik

Die Befürworter der begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) halten eine PID für ethisch gerechtfertigt, wenn ein hohes medizinisches Risiko vorliegt. Dies sei der Fall, wenn

  1. "bei den Eltern nachweislich eine erbliche Anlage vorhanden ist, die bei Vererbung auf das Kind zu einer schweren Krankheit oder Behinderung führen würde und im Falle ihrer Feststellung durch pränatale Diagnostik wegen einer Gefährdung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der betreffenden Frau Anlass für eine medizinische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch wäre,
  2. bei den Eltern nachweislich ein hohes Risiko vorhanden ist, eine Chromosomenstörung oder anderweitige Mutation zu vererben, die eine extra-uterine Lebensfähigkeit des Embryos ausschließt,
  3. oder wenn bei den Eltern nach wiederholten Fehlgeburten oder vergeblichen Behandlungsversuchen der assistierten Reproduktion nach eingehender medizinischer Abklärung ein hohes Risiko für Reifungsstörungen der Keimzellen gegeben ist, sodass ein Großteil der entstehenden Embryonen extrauterin nicht lebensfähig ist. In diesen Fällen sollte eine PID nur im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden, um ihre in diesem Anwendungsbereich bislang nicht belegte Wirksamkeit wissenschaftlich zu klären."

In ihrem Votum schlagen die Befürworter der PID vor, daß der Gesetzgeber diese Kriterien festlegt, aber keinen Katalog einzelner Krankheiten oder Behinderungen aufstellt, bei denen eine PID in Frage kommt.

Votum für ein gesetzliches Verbot der PID

Die Befürworter eines gesetzlichen Verbots der PID vertreten die Auffassung, dass die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik ethisch nicht gerechtfertigt ist und verboten werden sollte, weil

  1. "der in vitro gezeugte Embryo aufgrund seiner künstlichen Erzeugung einer besonderen Verantwortung unterliegt, die es verbietet, ihn zu erzeugen, um ihn im Falle unerwünschte Eigenschaften zu verwerfen,
  2. mit der PID eine embryopathische Indikation wieder eingeführt würde, also die Erlaubnis,menschliches Leben aufgrund unerwünschter Eigenschaften zu verwerfen, die aus der Schwangerschaftskonfliktregelung ausdrücklich ausgeschlossen wurde,
  3. gravierende Folgen für den Embryonenschutz absehbar sind, insbesondere indem einehohe Anzahl von „überzähligen" Embryonen entstehen würde, „von denen niemand weiß,wie mit ihnen umzugehen wäre,
  4. eine Begrenzung auf wenige Fallgruppen oder schwere Erkrankungen nicht einzuhaltenist, vielmehr eine qualitative Ausweitung wie in anderen Staaten, die die PID zugelassen haben, absehbar ist,
  5. die technische Entwicklung chipgestützter Diagnosetechniken einen breiteren Einsatzder PID für eine Vielzahl von genetischen Abweichungen oder Krankheitsveranlagungenin absehbarer Zeit wahrscheinlich macht,
  6. sich der Druck auf genetisch belastete Eltern, die sich keiner PID unterziehen wollen,und auf Menschen mit Behinderung, insbesondere mit genetisch bedingten Behinderungen, erhöhen könnte und dies Bemühungen um Integration und Inklusion zuwiderlaufen."

Die Unterzeichner dieses Votums weisen insbesondere darauf hin, daß gerade im Feld der menschlichen Reproduktion Maßstäbe und Regelungen dafür entwickelt werden müssen, technologischen Entwicklungen wirksame Grenzen zu setzen. Dazu erklären sie wörtlich: "Aus ethischer Perspektive kann man nicht alles für legitim erklären, was technologisch machbar ist; man muss vielmehr danach fragen, was ethisch und moralisch vertretbar und im Hinblick auf ein humanes Miteinander von Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten erforderlich ist. Es ist deshalb ein Irrweg zu behaupten, die Nichtzulassung einer technologisch möglichen Intervention wie der PID sei Zukunftsverweigerung. Vielmehr ist es eine Verweigerung von Zukunftsverantwortung, wenn man das, was technologisch möglich ist, auch ethisch für verantwortbar und rechtlich für zulässig erklärt."

Sondervotum für eine Zulassung der PID mit einer verbindlichen Indikationsliste

Ein Sondervotum für die Zulassung der PID mit einer verbindlichen Indikationsliste hat das Mitglied des Ethikrates Eckhard Nagel abgegeben. Er ist der Auffassung, daß die Durchführung einer PID zur Identifikation von entwicklungsfähigen Embryonen sollte erlaubt sein sollte, und "dies im Sinne einer positiv juristischen Legitimierung". Ein generelles Verbot der PID, das in diesem Sinne Ausnahmen ermöglicht, sei irritierend, gerade im Hinblick auf die einzufordernde Gewissensentscheidung der Eltern. Um eine klare Eingrenzung der Anwendungsmöglichkeiten der PID zu ermöglichen, bedürfe es deshalb einer verbindlichen Indikationsliste, so wie sie bereits erfolgreich in anderen medizinischen Kontexten Anwendung finde, so Nagel in seinem Sondervotum.

Weihbischof Dr. Anton Losinger bedauert fehlende Ablehnung

Der Weihbischof in Augsburg und Mitglied im Deutschen Ethikrat, Anton Losinger, hat die fehlende klare Mehrheit im Deutschen Ethikrat gegen die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik (PID) bedauert. So sei kein eindeutiges Signal gegen die PID möglich gewesen und damit auch kein Zeichen für einen starken Lebensschutz. Zu seinen Beweggründen erklärte Losinger:

„Die Selektion extrakorporal erzeugter Embryonen ist ein massiver Verstoß gegen Buchstaben und Geist von Grundgesetz und Embryonenschutzgesetz. Die Verwerfung eines Embryos aufgrund eines auffälligen Chromosomenbefundes verstößt gegen das Achtungsgebot der Menschenwürde und das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Gleichzeitig verstößt es gegen das im Grundgesetz festgeschriebene Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung, das einen Embryo mit voraussichtlichem Gendefekt ebenso vor Diskriminierung schützt wie geborene Menschen mit Behinderung."

Losinger weist auch auf die negativen Konsequenzen hin, die Folge der PID sind, nämlich daß Menschen eine Auswahl zwischen "wertvollem" und "unwertem" Leben treffen. „Hier wird ein ethischer Dammbruch erzielt, denn der menschliche Embryo ist ein embryonaler Mensch ab dem Augenblick der Verbindung von Ei- und Samenzelle. Er hat als embryonaler Mensch Würde und Lebensrecht", so der Weihbischof. Die PID sei mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. „Wenn durch die PID Selektion betrieben wird und damit Menschen in ihrer Würde und ihrem Wert unterschiedlich beurteilt werden, dann haben wir ein System der Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben. Dieser selektive Blick der PID ist in jeder Hinsicht abzulehnen. Besonders kritisch stellt sich die Folge der selektiven Möglichkeiten der PID im Hinblick auf behinderte Menschen: Welches Menschenbild des behinderten Menschen werden wir auf lange Sicht generieren?", fragt Weihbischof Losinger.

Eine Übersicht über die Voten der Mitglieder des Deutschen Ethikrates gibt die im Anhang beigefügte pdf-Datei.

Für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik (PID) tritt die Initiative "Stoppt PID" ein, die unter Schirmherrschaft des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe, sowie des Bundesvorsitzenden der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V., Robert Antretter, steht und von zahlreichen Organisationen und Einzelpersonen unterstützt wird. In MEDRUM besteht die Möglichkeit, die Forderungen der Initiative "online" zu unterstützen:

Online-Unterstützung → "Stoppt PID".


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Präimplantationsdiagnostik (PID)

Leserbriefe

Wen wundert es, dass der Ethikrat keine gemeinsame Position finden kann? Mit der Entscheidung, Menschen im Reagenzglas herzustellen, sie also nicht mehr als unferfügbares Geschenk Gottes zu empfangen, sondern in widernatürlicher Weise als Ergebnis einer technischen Manipulation, eines zweckrationalen Vorgangs zu produzieren, ist die Büchse der Pandora geöffnet. Wer den ersten Schritt getan und sich zum Schöpfer aufgeschwungen hat, steht nun unweigerlich vor dem zweiten Schritt, nämlich jene seine "Produkte" in zweckrationalem "Qualitätsmanagement" aus dem "Produktionsprozess" auszuscheiden, die den erwünschten "Qualitätskriterien" widersprechen. Wer die Büchse der Pandora öffnet, wird im zweiten Schritt unweigerlich damit konfronitiert, Menschen nun zu selektieren: lebenswertes und lebensunwertes Leben. "Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden..." (Römerbrief 1,22)