12.08.09
"Diskriminierung und Schwulenhetze" durch Evangelikale?
ZEIT-ONLINE: homosexuellenfeindlicher Fundamentalismus bei DIJG, Wuestenstrom und beim Marburger Kongreß
von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Leonie Seifert schreibt in einem Artikel in ZEIT-ONLINE vom 11.08.09 unter der Überschrift "Diskriminierung - Schwulenhetze, streng wissenschaftlich", dass evangelikale Fundamentalisten Homosexuelle bekehren und umerziehen wollen. Namentlich hervorgehoben werden besonders das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG), die Beratungsorganisation "Wuestenstrom" sowie die Unterzeichner der Erklärung "Für Freiheit und Selbstbestimmung" zum Marburger Kongreß. Sie sorgen angeblich für Aufsehen.
Emails, Attentate und Homophobiewelle
Ihren Artikel leitet Seifert mit der Schilderung ein, bei Klaus Jetz, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland (LSVD), hätten sich in den letzten drei Monaten belästigende Emails vervielfacht. Er werde aufgefordert, sich zu bekehren und therapieren zu lassen, so Seifert. Politiker von Bündnis 90/ Die Grünen sprechen Seifert zufolge von einer neuen Homophobiewelle. Während im Ausland Attentate verübt werden (wie in Israel ), würden homosexuellenfeindliche Fundamentalisten hierzulande auf andere Weise für Aufsehen sorgen, so Seifert.
Was ist für Seifert "Diskriminierung" und "Schwulenhetze"?
Seifert stellt das DIJG und Wuestenstrom als schwulenfeindlich und fundamentalistisch heraus: "Zwei Organisationen propagieren die Umerziehung besonders offensiv: das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG) und der Verein Wüstenstrom." Die DIJG fahre "schwere Geschütze" auf ihrer Internetseite auf. Dort stünde, "Homosexualität verletzt das geschöpfliche Bild des Menschen", und Wuestenstrom gebe sich "missionarisch".
Leonie Seifert stuft den legitimen, aber für Nichtchristen und eine Journalistin wie Seifert offenbar schwulenfeindlichen und hetzerischen Hinweis des DIJG auf das biblische Bild vom Menschen als ein "schweres Geschütz" ein. Ein solcher Maßstab müsste für katholische Christen, für Protestanten und ihre Kirchen, aber auch für Angehörige des jüdischen Glaubens ein Alarmzeichen sein, solange diese die Bibel als ihre Glaubensgrundlage anerkennen. Seifert gibt ihre Voreingenommenheit auch bei ihrer Klassifizierung der Beratungstätigkeit von Wuestenstrom zu erkennen. "Missionarisch" ist es für Seifert schon, wenn Hilfe für Menschen angeboten wird, die mit ihrer homosexuellen Orientierung im Konflikt leben und Hilfe suchen.
Auch Seiferts weitere Darstellung über homosexualitätsfeindliche Haltungen ist kritikwürdig und nicht haltbar. Sie gibt zwei pauschalierende Einzelmeinungen wieder: die Auffassung des Basler Psychotherapeuten und Publizisten Udo Rauchfleisch und der Vereinsvorsitzenden des Vereins "Bundesverband Deutscher Psychiater (BVDP), Christa Roth-Sackenheim. Rauchfleisch stelle fest, "alle evangelischen Freikirchen zeigen tendenziell diese homosexualitätsfeindliche Haltung". Roth-Sackenheim behaupte, die "Bekehrer" würden immer häufiger Kongresse veranstalten, auf denen sie Seminare wie "Homosexualität verstehen - Chance zur Veränderung" anböten, und erwähnt als Beispiel den Marburger Kongreß, bei dem es im Vorfeld "hochhergegangen" sei und 300 Teilnehmer in der Erklärung "Für Freiheit und Selbstbestimmung" eine "Veränderung der homosexuellen Neigung als möglich" bezeichnet hätten.
Seifert präsentiert beide Meinungsäußerungen unkritisch und ungeprüft. Worauf Rauchfleisch seine Wertung "feindlich" stützt, und wie er sie begründet, bleibt ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, welche Kongresse Roth-Sackenheim meint, wenn sie von Häufung spricht. Roth-Sackenheims Behauptungen über den Marburger Kongreß sind jedenfalls nachweislich falsch. Auch ihre Darstellung über die Erklärung "Für Freiheit und Selbstbestimmung" und ihre Unterzeichner treffen nicht zu.
Als einen der Unterzeichner greift Seifert den Psychiater Michael Schröter-Kunhardt heraus, der "unermüdlich nachlege". Er habe sich mit einer 54-seitigen Schrift an das Bundesministerium für Gesundheit gewandt. Sie distanziert sich von seinem anatomisch und medizinisch begründeten Hinweis auf die natürliche Anlage der menschlichen Sexualorgane für den Geschlechtsakt zwischen Mann und Frau und seine fachlich begründeten Anmerkungen über die besonderen, gesundheitlichen Risiken eines widernatürlichen Sexualverkehrs unter Homosexuellen. Sie ordnet diesen Sexualverkehr als nur "angeblich" widernatürlich ein. Seine Schrift bezeichnet Seifert als "krude Eingabe". Weshalb Seifert einerseits die unzutreffenden Äußerungen von Roth-Sackenheim ungeprüft und unkommentiert wiedergibt, während sie die medizinisch-fachlichen Ausführungen des Psychiaters Schröter-Kunhardt als "krud" bewertet, offenbart ihr Artikel nicht. Eine nachvollziehbare, einleuchtende Begründung für ihre Werturteile bleibt Seifert schuldig.
Kritik und Richtigstellung
Seifert stellt den Diskurs über Fragen homosexueller Lebensweisen und das Eintreten freiheitlich-demokratisch gesinnter Bürger für Grundfreiheiten als Erscheinung einer angeblich erstarkenden Homophobiewelle in Deutschland in einen absurden und unerträglichen Zusammenhang mit homosexuellenfeindlichen, anonymen Email-Briefschreibern und Attentaten auf Homosexuelle im Ausland. Die Verfasserin vermittelt dadurch dem Leser den Eindruck von der Entwicklung allgemein wachsender, aggressiver Homosexuellenfeindlichkeit. Sie stützt dies auf die unkritische Wiedergabe unzutreffender, unbelegter Behauptungen und Einzelmeinungen sowie auf eigene, subjektive und nicht begründete Wertungen. Ihrer Darstellung ist entgegenzuhalten:
- dass ein wissenschaftlicher Kongreß nur unter Polizeischutz und nach Verlegen der Veranstaltungsräume störungsfrei ablaufen kann;
- dass christliche Einrichtungen und Häuser in Marburg mit christenfeindlichen Parolen besudelt und beschädigt wurden;
- dass Christen und der christliche Glaube in zutiefst beleidigender und ehrverletzender Weise von Aktivisten und Sympathisanten der Homosexuellen-Szene geschmäht und verächtlich gemacht wurden.
Im Artikel von Leonie Seifert wird dem Leser ein Eindruck von Zusammenhängen vermittelt, die nicht bestehen; es werden unbelegt Sachverhalte vorgetäuscht, die nicht zutreffen, und es werden Fakten und Zusammenhänge ausgeblendet, die für eine zutreffende Berichterstattung und Bewertung unerlässlich sind. So erzeugt Seifert ein Zerrbild von der Wirklichkeit. Es wird dem Leser bereits zu Beginn des Artikels durch das Archivbild "Homosexualität ist verboten" in subtiler Weise eingeflößt. Statt verlässlicher Fakten und einem Für und Wider von Argumenten werden Wertungen und Stereotype präsentiert. Ein eigenständiges und sachgerechtes Urteil kann sich der Leser auf diese Weise nicht bilden, einerlei ob dies auf Vorsatz, Unvermögen oder milieubedingter Befangenheit der Verfasserin beruht.
Die "Zeit" unterstützt mit der Veröffentlichung dieses Artikels einen Journalismus, der den Leser nicht aufklärt, sondern seine Meinungsbildung manipuliert. Dass dies in einer Zeitung geschieht, die dem intellektuellen Anspruch hoch gebildeter Leser in besonderem Maße genügen will, ist erschreckend. Auch vor dem kritischen Auge des Mitherausgebers der "Zeit", Altbundeskanzler Helmut Schmidt, dürfte dieser Artikel kaum bestehen können.
Artikel in "Die Zeit"-> Schwulenhetze, streng wissenschaftlich