01.04.10
Kein Aprilscherz: Gewissen eingesperrt
40 Tage Erzwingungshaft für Familienväter, weil Grundschulkinder nicht an Theateraufführungen teilnahmen
von Kurt J. Heinz
(MEDRUM) Von eingefleischten Gegnern des Christlichen Glaubens werden die nach ihrem Glauben treu lebenden Staatsbürger oftmals Fundamentalisten genannt. Und Fundamentalisten gelten im Prinzip als bedrohlich. Also sperrt man sie mitunter auch ein. So ist es in den letzten Tagen mit einem Familienvater von 11 Kindern geschehen. Er wagte es, sich nicht einer Staatsgewalt zu beugen, zu deren wichtigsten Aufgaben es hierzulande gehört, die Freiheit unserer Demokratie und ihrer Bürger zu bewahren. Nun wurde der "Fundamentalist" vor Ostern verhaftet und "in Sicherheit" gebracht. Ihm und einem zweiten Familienvater drohen Erzwingungshaft bis zu 40 Tage.
Wer ihn kennt und sich mit ihm beschäftigt, hat den Eindruck, er ist ein ganz harmloser Mensch, der niemandem etwas zuleide tut. Er ist fleißig, er ist fürsorglich für seine Familie, er liebt seine Kinder, ja er tritt sogar für die Erhaltung der freiheitlichen Ordnung dieses Staatswesens ein, ganz das Gegenteil eines Fundamentalisten. Der Leiter der Christlichen Gemeinde, der der Familienvater angehört, sagt in einem Brief, der MEDRUM vorliegt: "Die betroffenen Eltern sind Christen wie wir, Menschen, die ihrer Bürgerpflicht treu und gewissenhaft nachkommen, einer ordentlichen Beschäftigung nachgehen und unter den Arbeitskollegen und Nachbarn als ehrlich und zuverlässig geschätzt werden. Die Eheleute sind aber nicht nur gute und ordentliche Bundesbürger, sondern auch Christen, die ihr Leben nach der ganzen Heiligen Schrift, der Bibel, ausrichten."
Weshalb wurde dieser Mann dennoch eingesperrt? Es gibt einen simplen Grund: Er hat ein Gewissen, dem er sich verpflichtet fühlt. Dieses Gewissen hatte ihn dazu angetrieben, Widerstand gegen die Staatsgewalt zu leisten. Er hatte es gewagt, von der Schulleiterin einer Grundschule die Befreiung eines seiner Kinder von einer Unterrichtsveranstaltung zu bitten, bei der er eine Teilnahme seines Kindes nicht mit seinem christlich geprägten Gewissen vereinbaren konnte. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Denn die Schulleiterin hatte kein Einsehen damit, daß ein Familienvater aus Gewissensnöten eines seiner Kinder von einer Veranstaltung befreien lassen wollte, die sie angesetzt hatte. Das kam für sie nicht in Frage. So hatte sie die Machtfrage gestellt: Wer es wagt, sich ihren Entscheidungen zu widersetzen, wird angezeigt. Also setzte sie den Staatsapparat in Gang und die Dinge nahmen ihren Lauf: Bußgeld, Ablehnung des Widerspruchs, Anordnung von Erzwingungshaft, Vollstreckung von Erzwingungshaft. So wird "staatsfundamentalistisch" mit einem Menschen umgegangen, für den Gewissen eine fundamentale Bedeutung hat, was ihm jedoch nicht zugebilligt wurde. Die Baptisten-Gemeinde sagt hierzu in ihrem Brief: "Die betroffenen Eltern haben es wiederholt versucht, Gehör für ihre Gewissensnot zu finden. Diese Versuche sind bei der Schulleitung, der Schulbehörde und bei den Gerichten gescheitert. Der Gewissensnot der Eltern wurde kein Gehör geschenkt, sondern sie wurden vielmehr, ohne Prüfung der dargelegten Gewissensgründen, nur auf die Verletzung der Schulpflicht hingewiesen."
Auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes waren Fundamentalisten. Für jene Frauen und Männer hatte der Schutz der Gewissensfreiheit nämlich fundamentale Bedeutung. Deswegen schrieben sie einen Katalog von unveräußerlichen Grundrechten und stellten sie an den Anfang einer Verfassung, die die Würde des Menschen an oberste Stelle setzte und festschrieb, daß der Wesensgehalt dieser Grundrechte auch nicht von einer verfassungsgebenden Mehrheit angetastet werden darf. Einen einzigartigen und fundamentalen Ausdruck fand dabei der Schutzes des Gewissens. In Artikel 4 des Grundgesetzes heißt es: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich." Und im selben Artikel schufen die Verfassungsgeber mit dem Grundrecht, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern zu dürfen, eine im internationalen Vergleich einzigartige Verfassungswirklichkeit, die dem Gewissenschutz des Einzelnen höheren Rang als dem Anspruch des Staates einräumt, sich durch seine Bürger mit der Waffe zu verteidigen. Der Schutz des Gewissens wurde zur Staatsräson. Die Verfassungsgeber taten dies aufgrund der Erfahrung, daß zuvor die Gewissensfreiheit in der Zeit des Nationalsozialismus durch die Allgewalt brauner Stiefel am Boden zertreten wurde.
Mit dieser neuen staatlichen Ordnung sollte ein Staat geschaffen werden, der sich vom nationalsozialistischen
Terrorregime durch seinen freiheitlichen Charakter, durch das Leben von Demokratie und durch Rechtsstaatlichkeit unterscheiden sollte. Christliche Demokraten und christlicher Geist hatten dabei eine entscheidende Rolle gespielt, wie die Präambel des Grundgesetzes offenbart und dokumentiert, auch wenn dies in den Strudeln des heutigen Zeitgeistes unterzugehen droht. So existiert in der Lebenswirklichkeit des inhaftierten, christlichen Familienvaters dieser christlich und freiheitlich geprägte Geist nur auf seiner Seite. Seine gewissensgeleitete Haltung stößt auf den Anspruch einer staatlichen Macht, die darauf besteht, daß seine Kinder auch an einer solchen Schulveranstaltung teilnehmen, für die er aus Gewissensnot um Befreiung bat.
Nun ist dieses Gewissen erst einmal weggesperrt. Es sitzt zusammen mit dem ihn umgegebenden Körper in einer Justizvollzugsanstalt. Das Theaterstück "Die Schneekönigin" und sein Widerwille, ein Stück für gut zu heißen, in dem Sonne, Mond, Wind und der Morgenstern um Hilfe angerufen werden, sowie eine Schulleiterin, die eine gewisse Vorliebe für Theateraufführungen zu haben scheint, haben ihn dorthingeführt. Das Stück "Die Schneekönigin" steht in diesem Fall pars pro toto. Der Familienvater und andere Mitglieder seiner christlichen Gemeinde stehen gleichermaßen im Konflikt mit der Schulleiterin wegen Theateraufführungen, die im Rahmen der Sexualerziehung durchgeführt werden (MEDRUM berichtete). Ein zweiter Familienvater wurde in Erzwingungshaft genommen, weil sein Kind nicht an der Theateraufführung "Mein Körper gehört mir" im Rahmen der staatlichen Sexualerziehung teilgenommen hat.
Sicherlich muß man die Auffassung des Familienvaters nicht teilen. Viele werden das Märchen des Dänen Hans Christian Andersen für unbedenklich halten, sich an ihm erfreuen und wenig oder auch gar kein Verständnis für die Gewissensnot des Familienvaters aufbringen. Aber, erweist sich nicht gerade darin der unermeßlich kostbare Wert einer freiheitlichen Ordnung, daß dem Andersdenkenden die Freiheit zugebilligt wird, in einem solchen Fall eben anders denken zu dürfen? Ist es nicht gerade dieses Prinzip, das eine freiheitliche Demokratie auszeichnet und von totalitären, undemokratischen Herrschaftssystemen unterscheidet? Und stellt sich hier nicht auch die Frage, ob es einem freiheitlichen Staat nicht gut anstünde, statt einen Familienvater von 11 Kindern in die Haftanstalt verbringen zu lassen, zu sagen: "Wir sehen dieses Theaterstück zwar grundlegend anders als Sie, aber, wenn die Teilnahme Ihres Kindes an der Theateraufführung Ihr Gewissen derart bedrückt, dann lassen Sie es meinetwegen während der Aufführung in der Bibel lesen oder lassen Sie es sonst etwas Sinnvolles tun."
Ganz sicher wäre an einer solchen Entscheidung sichtbar geworden, wie wertvoll es für Menschen ist, in einem freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat zu leben, in dem Gewissensfreiheit einen erfahrbaren Stellenwert hat. Weder diese Schule noch das staatliche Schulsystem und dieser Staat würden daran zerbrechen, daß ein Kind eine Theateraufführung verpasst. Ebenso wenig müsste deswegen die Gefahr einer bedrohlichen Parallelgesellschaft heraufbeschworen werden. Besteht wirklich Grund, in einer an panische Überängstlichkeit erinnernden Weise anzunehmen, eine solch harmlose Freiheit wie die, an einer Theateraufführung nicht teilnehmen zu müssen, nicht gewähren zu können? Wer schon glaubt, der Familienvater beweise zu wenig Vernunft, wenn ihm sein Gewissen sagt, er solle sein Kind nicht teilnehmen lassen, sollte wenigstens selbst so viel Vernunft und Augenmaß beweisen, diesen Vater nicht auch noch 40 Tage hinter Gittern zu bringen. Wer dies für richtig hält, hat nicht genügend aus der deutschen Geschichte gelernt; ihre Lehren erschöpfen sich nicht in Gedenkveranstaltungen und Denkmälern gegen den Holocaust allein. Zur Freiheit gehört mehr als das Recht, nicht verfolgt, interniert und gemordet zu werden. Es gehört auch dazu, das Gewissen eines Familienvaters nicht wegen der Nichtteilnahme an einer entbehrlichen Theaterveranstaltung 40 Tage hinter Schloß und Riegel zu bringen. Wer dies befürwortet, muß sich auch der Frage stellen, ob hier zur Wirkung kommende Mittel noch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.
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Innerhalb eines Jahres wurde in fünf Fällen Erzwingungshaft an Eltern der betroffenen Gemeinde vollstreckt. Weiteren zwölf Elternteilen droht die Vollstreckung mit einer längsten Haftdauer von 40 Tagen.
Die christliche Gemeinde, in der gegen diesen und weitere Familienväter Erzwingungshaft verhängt oder schon vollstreckt wurde (MEDRUM berichtete), setzt sich in einem Appell gegen die Verletzung der Religions- und Gewissensfreiheit ihrer Gemeindemitglieder ein. -> Bittschrift
MEDRUM -> Im Namen des Volkes: 40 Tage hinter Schloß und Riegel
MEDRUM -> Eltern müssen dem Schulamtsdirektor mehr als Gott gehorchen