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Kita-Pflicht für alle! - Was wollen Wowereit und die SPD wirklich?


08.09.10

Kita-Pflicht für alle! - Was wollen Wowereit und die SPD wirklich?

Thilo Sarrazin treibt SPD offenbar zu Verzweiflungsattacken: Kita-Pflicht für alle Einjährigen Deutschlands?

von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Das Buch von Thilo Sarrazin scheint bei einigen SPD-Politikern die notwendige Besonnenheit zu vertreiben. Ängste in der Bevölkerung müssten ernst genommen werden, Integration dürfe aber nicht auf Zuwanderer beschränkt werden, schrieb Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, in der Berliner Zeitung und forderte eine allgemeine Kindergartenpflicht in Deutschland.

Einerseits will Wowereit - wie der SPD-Bundesvorstand - seinen Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin aus der SPD ausschließen, andererseits scheint man in der SPD aber sogar zu Panikattacken bereit zu sein, nur um zu demonstrieren, daß - trotz Opposition zu Sarrazin - die Alarmsignale über Integrationsdefizite ernst genommen werden. Doch statt zu fragen, wie Kinder aus Migrantenfamilien in vernünftiger Weise gezielt gefördert werden können, will insbesondere der Berliner SPD-Politiker und Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, gleich alle Kinder in einen frühkindlichen "Bildungsprozess" einschleusen, noch bevor sie das Gehen gelernt haben. Er würde am liebsten staatlich verordnen, daß Kleinstkinder bereits ein Jahr nach ihrer Geburt in ein Kita-System transportiert werden. In jeder Familie hieße das dann künftig frühmorgendlich: Ab zur Bildung in die Kita! Die Worte "Mama" und "Papa" müssten die Kleinsten dann dort lernen, wo weder Mama noch Papa sind. So schwebt es Buschkowsky vor.

Solche Zwangsmaßnahmen erscheinen dem prominenten Lokalpolitiker sinnvoll. Denn angeblich verbessern sich die Bildungschancen, wenn Kinder aus bildungsfernen Schichten frühzeitig gebildet werden. Weil Kinder aus sozial schwachen Schichten gefördert werden sollen, setzt Buschkowsky offenbar nach dem bewährten militärischen Grundsatz "Nicht kleckern, sondern klotzen!" zu einem bildungs- und familienpolitischen Rundumschlag an - ganz nach der Devise: wenn auf alle geschossen wird, werden schon auch die Richtigen dabei sein.

Auch Wowereit hatte sich in der Berliner Zeitung zunächst im Sinne Buschkowskys für eine allgemeine Kita-Pflicht ausgesprochen, scheint seine Forderung nun aber zu relativieren. Er denke mehr an eine Art Vorschulpflicht, ließ er zwischenzeitlich seinen Sprecher in der TAZ erklären. Wowereit wie Buschkowsky stehen offenbar massiv unter dem Eindruck der Berliner Verhältnisse und Sarrazins Buch, das einen aufrüttelnden Blick auf die düsteren Perspektiven geworfen hat, die deutscher Politik geschuldet sind.

Auch wenn Sarrazin offenbar nicht mehr für die SPD taugt, sind seine Alarmhinweise auf die großen Integrationsdefizite muslimischer Bevölkerungsgruppen aber wenigstens für Buschkowsky Grund genug, gleich die gesamte jüngste Nachkommenschaft der Bevölkerung Deutschlands in ein Kita-System abzukommandieren. Beim Umfang des letztjährigen Geburtenumfanges von etwa 660.000 Kindern wären für die Buschkowsky-Idee zusätzlich zu den bereits im Krippenausbauprogramm geplanten 750.000 Plätzen bis 2013 nochmals knapp 3 Millionen Kita-Plätze einzurichten. Ob das am Ende auch Wowereit und die SPD wollen, ist nicht klar. Eine Kita-Pflicht stand bereits 2008 auf der Tagesordnung des SPD-Landesverbandes und soll demnächst auch von der Bundes-SPD beraten werden.

Der Koalitionspartner DIE LINKE im Berliner Senat, der sonst für staatliche Eingriffe und Zwangsmaßnahmen schnell zu haben ist, hat sich bisher jedoch nicht für die Panikattacke "Allgemeine Kita-Pflicht" gewinnen lassen. Der Vorschlag Wowereits stoße auf Kritik in der eigenen Koalition, die Linkspartei fürchte bei dem Vorhaben einen Konflikt mit dem Grundgesetz, schrieb die Berliner Zeitung.

So ist es auch nicht verwunderlich, daß die Initiative "Familienschutz" irritiert ist und Widerspruch angemeldet hat. Noch im letzten Jahr habe die SPD erklärt, sie denke nicht an eine Kita-Pflicht, stellt die Initiative fest. Bei einer Abfrage an SPD-Bundestagsabgeordnete vor der Bundestagswahl hatten laut Mitteilung der Initiative noch 60 Prozent der SPD-Parlamentarier erklärt, sie seien gegen eine Kita-Pflicht. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Christel Humme, habe erklärt, die SPD setze auf Freiwilligkeit, so Familienschutz. Diese Erklärung wurde von der Initiative offenbar als Garantie gewertet, keine Kita-Pflicht einzuführen. Diese Garantie, so die Sprecherin der Initiative, Hedwig von Beverfoerde, wolle Wowereit jetzt aufheben.

Was von angeblichen Garantien zu halten und an ihrer Aufhebung wirklich dran ist, wird sich zeigen. Der Vorstoß aus den Reihen Berliner SPD-Politiker zeigt jedenfalls, daß der Vorstellungswelt in den Parteien nicht immer Grenzen der Vernunft gesetzt sind. Selbst in den totalitären Staaten Drittes Reich und DDR gab es kein staatliches Zwangssystem "Krippenpflicht". So verschonte auch das sonst nicht zimperliche SED-Regime den sozialistischen Menschen vor einer Zwangskrippe. Ein Musterbeispiel, daß Integration und Bildung auch ohne Krippe und vielleicht sogar besser gelingen kann, ist Angela Merkel. Sie wuchs ohne frühkindliche Krippen-Bildung in der Obhut ihrer Familie auf.

Die Ideen aus der Berliner SPD erinnern an Wowereits saloppen Spruch: "Wir sind zwar arm, aber trotzdem sexy". In den Augen von Eltern könnte sich Wowereits Bonmot jetzt eher so lesen: "Die Ideen aus der SPD sind armselig und noch nicht einmal sexy." Und das ist nicht gut so, nicht für Wowereit, nicht für Sarrazin, nicht für die Integration, nicht für die Kinder und Familien, und auch nicht für die SPD.


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