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Journalistische Faktenresistenz und Träumerei in den Stuttgarter Nachrichten


22.01.11

"Journalistische Faktenresistenz" und "Träumerei" in den Stuttgarter Nachrichten

Ein Widerspruch zu Phantasien über eine Renaissance der Familie -
Auf den Punkt gebracht durch Hartmut Steeb

Ein Kommentar von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Barbara Thurner-Fromm schreibt in ihrem Kommentar zu Müttern in der Politik unter dem Titel "Der ganz normale Wahnsinn" in den Stuttgarter Nachrichten, die Familie erlebe eine Renaissance. Anlaß für diesen Kommentar ist die vor einigen Tagen bestätigte Schwangerschaft von Familienministerin Kristina Schröder. Doch Hartmut Steeb widerspricht Thurner-Fromm und holt die Stuttgarter Nachrichten auf den Boden der Realität zurück.

Thurner-Fromm meint in ihrem Kommentar, in dem sie die gewaltige Anstrengung, die eine Mutterschaft von einer Politikerin wie Kristina Schröder oder Andras Nahles verlange, hervorhebt: "Manchem Strukturkonservativen ist so viel Frauenpower unheimlich. Dazu besteht kein Grund, denn im Windschatten des gesellschaftlichen Wandels hin zu mehr Kindern und einer kinderfreundlicheren Infrastruktur ist ein weiteres positives Phänomen zu beobachten: Die Familie erlebt eine Renaissance." Die Verfasserin versäumt es auch nicht, das Elterngeld zu erwähnen, das dieser Entwicklung angeblich einen gewaltigen Schub gegeben habe.

Der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, der selbst Vater von zehn Kindern ist, und dem als energischem Gegner der Abtreibung die Freude über jedes Kind, das in dieser Gesellschaft zur Welt kommt, auf der Stirn geschrieben steht, holt die Stuttgarter Nachrichten in einem Leserbrief in die Realität zurück. Steeb bringt es in seiner Erwiderung auf den Kommentar von Thurner-Fromm auf den Punkt:

Wenn Politikerinnen Kinder gebären ist das wahrlich interessant. Nur wäre zu wünschen, dass sich Frau Barbara Thurner-Fromm dann bei ihrem Kommentar mehr an die Fakten hält anstatt Träumereien nachzujagen.

Wenn sie schreibt, dass dies "im Windschatten des gesellschaftlichen Wandels hin zu mehr Kindern" geschehe, muss man sich schon fragen, ob hier der Wunsch die Mutter des Gedanken ist oder es sich um journalistische Faktenresistenz handelt. Denn der gesellschaftliche Wandel hin zu mehr Kindern entbehrt leider jeder Grundlage.

2009 waren die Geburtenzahlen am absoluten Tiefpunkt seit über 60 Jahren und 2010 sieht es kaum besser aus. Woher nimmt sie also diese Sand in die Augen streuende Behauptung?

Und dass die ständigen unterschiedlichen Bezugspersonen für Kinder ein Gewinn wären, wozu sie sich am Schluss ihres Kommentars versteift, ist wider alle wissenschaftliche Erkenntnis, die für Kleinkinder nicht wechselnde Bezugspersonen als notwendig ansieht.

Wenn es um Kinder ginge, würden Karriereplanungen und Wirtschaftsinteressen hinten an stehen. Das wäre gut für die Kinder und unsere Zukunft. Aber die Politik müsste auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass endlich der Mutterberuf gesellschaftlich anerkannt und nicht weiter diskriminiert würde. Wenn sich dafür auch Journalisten einsetzen würden, würde der Traum vom gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Kindern tatsächlich noch Wirklichkeit werden.

Den nüchternen Blick für diese Realitäten hätte man nicht nur beim Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, sondern auch bei den Stuttgarter Nachrichten als einem wichtigen Vertreter der vierten Gewalt im Ländle erwartet. Besonders, weil auch die Politik seit Jahrzehnten auf den Felder der Familien- und Gesellschaftspolitik durch die gleiche Faktenresistenz und Träumerei gekennzeichnet ist. Allein der Hinweis von Steeb auf den historischen Tiefpunkt der Geburtenzahlen im Jahr 2009 macht deutlich, wo dieses Land wirklich steht. Es dürfte auch an Stuttgarter Nachrichten nicht vorbeigegangen sein, daß aufgrund des gigantischen Geburtendefizits aus den letzten Jahrzehnten Vertreter aus der Wirtschaft einen jährlichen Zuzug von bis zu 500.000 Migranten für notwendig halten, um den fehlenden Nachwuchs der deutschen Gesellschaft auszugleichen und einen volkswirtschaftlichen Absturz zu verhindern.

Notwendig wäre eine anhaltende Renaissance der Familie in den nächsten Jahrzehnten, wollten die Deutschen selbst für den nötigen Nachwuchs sorgen. Davon ist Deutschland Lichtjahre entfernt. Jetzt also schon von Renaissance zu sprechen, bloß weil 2010 die Geburtenzahlen den historischen Tiefpunkt von 2009 möglicherweise nicht erneut unterbieten werden - noch liegen ja die endgültigen Zahlen nicht vor -, verrät eine erstaunliche Blauäugigkeit und fehlende Kompetenz für eine treffende Einschätzung der Statistik bei der Kommentatorin.

Die Meinungsmacher in Politik und Medien fahren unverändert mit ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen auf Abstellgleise, die dieser Gesellschaft keine Wege in eine nachhaltige Zukunft eröffnen. Am Ende dieser Fahrt warten lediglich die Prellböcke. Das ist nicht nur Hartmut Steeb seit langem klar. Davor warnen auch Experten wie der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg ("30 Jahre nach zwölf") seit langer Zeit. Und nicht zuletzt hat auch Thilo Sarrazin - jenseits der einen oder anderen bestreitbaren Aussage  - mit seiner Warnung recht, daß sich Deutschland selbst abschafft, wenn es so weiter macht.

Hilfe ist nur zu erwarten, wenn Fakten nicht länger ignoriert, Träumereien beendet und eine Politik betrieben werden, die endlich die richtigen Schwerpunkte setzt. Dann kann sich auch irgendwann die Hoffnung auf eine Renaissance der Familie erfüllen. Vorerst ist diese Renaissance auf einen Teil der Gesellschaft begrenzt, für den Kinder wider den Mainstream zum eigenen Lebensentwurf gehören. Zu diesem Kreis wird bald auch Kristina Schröder gehören. Dieses freudige Ereignis macht aber die Familie ebenso wenig wie das Elterngeld noch nicht zum Mainstream.

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Hartmut Steeb ist neben seiner Aufgabe als Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz nicht nur überzeugter Familienvater und Lebensrechtler (Vorsitzender des Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen), sondern gehört auch zu dem Personenkreis, der die "Initiative Evang. Kirchenprofil". Der dem Protestantismus zuzurechnende Steeb kann als klassischer Wertkonservativer gesehen werden, dem weder Frauenpower noch Männerpower, sondern höchstens Familien-, Lebens- und Christenfeindlichkeit unheimlich sind. Deshalb widersetzt sich Steeb allen fundamentalistischen Entwicklungen wie dem radikalen Feminismus und Hedonismus, deren Lebensentwürfe und Anschauungen dem Gemeinwohl der deutschen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten schweren Schaden zugefügt haben. Hartmut Steeb in Facebook → Hartmut Steeb


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