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Gewalt in Familien


24.04.09

Gewalt in Familien langfristig rückläufig

Nachricht der Woche im Newsletter des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V.

(MEDRUM/iDAF) Zur Entwicklung von Gewalt in Familien informiert das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. in seinem neuesten Newsletter. In seiner Nachricht der Woche kommt iDAF zu der Erkenntnis, dass Gewalt in den Familien ein überschätztes Phänomen ist.

Fälle brutaler Kindstötungen und Misshandlungen, wie des zweijährigen Kevin in Bremen oder der fünfjährigen Lea-Sophie in Schwerin, schockieren immer wieder die Öffentlichkeit (1).

Angesichts solch tragischer Fälle wird in den Medien häufig vermutet, dass diese nur die Spitze des „Eisberges“ eines weit verbreiteten Versagens von Eltern darstellten, die mit der Erziehung ihrer Kinder zunehmend überfordert seien. Als Lösung des Problems werden weitergehende Eingriffsrechte der öffentlichen Hand in die Privatsphäre von Familien gefordert, damit Kinder früher aus „dem bedrohlichen Milieu“ ihrer Eltern herausgenommen werden können (2). Es wird suggeriert, dass zahlreiche Kinder durch Misshandlungen ihrer Eltern in ihrer physischen Existenz bedroht seien. In diesem Sinne wurde kürzlich behauptet, dass in Deutschland „mehrere Hundert“ Kinder jährlich an den Folgen von Misshandlungen sterben würden, die „Dunkelziffer“ aber viel höher liege (3).

Tatsache aber ist, dass, –wie Forscher der Dortmunder Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendhilfestatistik feststellen, Kindstötungen, insbesondere solche durch Misshandlung und grobe Vernachlässigung, „singuläre Ereignisse“ sind. Dies zeigt auch die Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts. Demnach kamen von 1998 – 2006 jährlich zwischen 10 und 20 Kinder unter 10 Jahren durch "Vernachlässigen und Verlassen" sowie "Sonstige Arten der Misshandlung" um. Folgt man der Todesursachenstatistik, ist die absolute Zahl der Kinder unter 10 Jahren, die durch einen tätlichen Angriff zu Tode gekommen sind, in den letzten 25 Jahren um mehr als die Hälfte gesunken. Auch relativ betrachtet ist bei den Kindstötungen eine rückläufige Tendenz festzustellen: Waren im Jahr 1980 bezogen auf 100.000 Kinder unter 10 Jahren noch 1,5 Fälle zu verzeichnen, zählte man im Jahre 2005 noch 0,6 Fälle. Auch wenn die öffentliche Wahrnehmung häufig eine andere ist: Kindstötungen sind im längerfristigen Vergleich keinesfalls häufiger, sondern tendenziell eher seltener geworden (4).

Zu vermuten ist, dass es eine gewisse „Dunkelziffer“ statistisch nicht erfasster Kindstötungen gibt. Schließlich steht und fällt die Zuverlässigkeit der Todesursachenstatistik mit der Qualität der Angaben der Ärzte/-innen. Hier mag es im Blick auf die richtige Diagnose von Kindesmisshandlungen als Todesursache immer noch Defizite geben. Dass Kindesmisshandlungen heute seltener als früher von Medizinern erkannt werden, ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Denn allgemein ist die Sensibilität bei physischer Gewalt an Kindern in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Damit ist auch die Bereitschaft gestiegen, Fälle von Kindesmisshandlungen anzuzeigen (5).

Die Sensibilität für den Kinderschutz wurde durch die Rechtsentwicklung gefördert, die – wie historische Analysen zeigen – „vor allem die schwächeren Mitglieder der Familie schrittweise unter den Schutz des Staates gestellt und das Bestrafungsrisiko zumindest für einige Formen der Gewaltanwendung spürbar angehoben hat“ (6). So wurden im Jahr 2000 in Deutschland die letzten verbliebenen Reste des früheren elterlichen „Züchtigungsrechts“ gegenüber Kindern abgeschafft. Untersuchungen deuten darauf hin, dass sich dieser Normenwandel im tatsächlichen Erziehungsverhalten von Eltern widerspiegelt: Gewalt von Eltern gegenüber ihren Kindern, etwa in Form von körperlichen Strafen („Prügel“), ist tendenziell seltener geworden. Dies ist Ausdruck und Folge der in den letzten Jahrzehnten vollzogenen Abkehr von autoritären Erziehungsmethoden (7).

Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen konstatieren Kindheitsforscher andererseits auch eine verbreitete Unsicherheit von Eltern in Erziehungsfragen (8). Dass es deren „natürliches Recht“ und die ihnen „zuvörderst“ obliegende Pflicht sei, ihre Kinder zu erziehen, stellt das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2) ausdrücklich fest. Wenn die körperliche Unversehrtheit und das Leben von Kindern in Gefahr sind, muss der Staat im Sinne seines „Wächteramtes“ im Einzelfall auch Kinder vor ihren Eltern schützen. Im Regelfall aber ist es seine Aufgabe, die eigenverantwortliche Erziehung von Kinder durch ihre Eltern subsidiär zu unterstützen – zum Beispiel durch Angebote zur Elternbildung.

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Anmerkungen

(1) In den Medien werden solche Fälle häufig als „Versagen der Jugendämter skandalisiert. Das Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik hat vor diesem Hintergrund ein informatives „Praxishandbuch für die Jugendhilfe herausgegeben, das am Beispiel des „Falls Kevin über die Aufgaben und die Rolle der Jugendämter aufklärt: Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (Hrsg.): Vernachlässigte Kinder besser schützen. Sozialpädagogisches Handeln bei Kindeswohlgefährdung, München 2008.

(2) Martina Schulte-Lenzen: Kindesmisshandlung Ein Schweigekartell der Grausamkeiten? Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. April 2009.

(3) ebenda.

(4) Vgl.: Kirsten Fuchs-Rechlin: Kindstötungen was sagt die Statistik? S. 3-5, in: Kommentierte Daten der Kinder- und Jugendhilfe, Informationsdienst der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, Sonderausgabe 9. Jahrgang, Oktober 2006.

(5) Vgl.: Helmut Thome/Christoph Birkel: Sozialer Wandel und Gewaltkriminalität. Deutschland, England und Schweden im Vergleich, 1950-2000, Wiesbaden 2007, S. 355.

(6) Vgl. ebenda, S. 353-354.

(7) In Schweden wurde das elterliche Züchtigungsrecht schon im Jahr 1980 abgeschafft, in Großbritannien besteht es dagegen zumindest rudimentär noch fort: Nach dem „Childrens Act von 2004 ist das Schlagen der eigenen Kinder nicht illegal, wenn daraus keine körperlichen Verletzungen (Quetschungen etc.) entstehen. Vgl. ebenda, S. 353-55.

(8) Vgl.: Karin Jurczyk: Familie Verschwinden oder Neustrukturierung des Privaten, S. 4-15, in: vorgänge Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik, Heft 3/2008, S. 8-10.


 

Selbstverständnis von iDAF

Das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. versteht sich als eine Ideenfabrik und Impulsgeber. arbeitet partei- und konfessionsübergreifend und verfolgt einen interdisziplinären Ansatz. "Es will die öffentliche Meinung, die „soziale Haut" (Noelle-Neumann) befreien helfen von den Ausschlägen einer Ich-Gesellschaft. Ihre bevorzugte Methode ist die Verbreitung von Ergebnissen interdisziplinärer Forschung durch Teilnahme an Symposien, Kolloquien und an der publizistischen Debatte. Auf diese Weise sollen die Handelnden in Politik, Wirtschaft und Bildungswesen gestärkt, die Unentschlossenen mitgerissen, die Nicht-Wissenden informiert werden. Die Initiatoren glauben trotz aller Fehlentwicklungen, dass eine Wertedebatte von selbst entsteht, wenn die Zusammenhänge erkannt und der Mensch, insbesondere das Kind, in den Mittelpunkt der Gesellschaft gestellt ist. Das volle Entfaltungspotential des Menschen soll zum Zuge kommen.

Geschäftsführer des Instituts ist der Journalist und Publzist Jürgen Liminski.

Weitere Information: www.i-daf.org