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Elterliche Zuwendung beeinflusst Gehirnprozesse


11.01.10

Elterliche Zuwendung beeinflusst Gehirnprozesse

von Christa Meves

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(MEDRUM) Wer mit Kindern arbeitet und von deren Müttern sorgfältig die Vorgeschichte ihrer Kinder erfragte, konnte es lange schon wissen: Es sind vorrangig die ersten Lebensjahre, in denen sich Er­fahrungen in das Gehirn gera­dezu eingraben – bei sorgsamer Pflege mit dem Ergebnis seelischer Stabilität oder – bei unzu­reichenden Eindrücken - mit geringerer Belastbarkeit, mit vielfältigen seelischen Erkran­kungen, die sich aber erst später manifestieren.

Das ist unbequemes Wissen, es steht dem Zeitgeist entgegen. Obgleich die Zahl der seelisch Gestörten weiter zunimmt, wird hieraus nicht die notwendige Schlussfolgerung gezogen.

Die neue Hirnforschung aber liefert bestätigende Ergebnisse und untermauert Praxiserfah­rungen, so dass diese nicht län­ger verleugnet werden sollten. Auch zeigen Erkenntnisse der Epigenetik, dass sich in der ers­ten Lebenszeit sogar die Gene im sich konstituierenden Gehirn durch Fehlschaltungen negativ verändern können!

„Potentielle Ansatzpunkte für eine epigenetische Prägung unseres Charakters gibt es genug“, schreibt der Biologe Dr. Spork in seinem den Stand der epigenetischen Forschung zu­sammenfassenden Buch „Der zweite Code“ und zitiert u.a. den Epigenetiker Dr. Meany: „Vergleicht man die Genaktivität im Hippocampus erwach­sener Nachkommen von Ratten, die ihre Jungen besonders viel oder besonders wenig geleckt und gepflegt haben, so zeigen sich Unterschiede bei ein paar hundert Genen.

Das legt nahe, dass die Inten­sität der mütterlichen Zu­neigung das epigenetische Programm im Gehirn der Nachkommen im großen Stil verändert. Neben den Stresshormonen beeinflussen eine Vielzahl weiterer Botenstofe die Erregbarkeit der Gehirnzellen – und damit das Verhalten von Tier und Mensch“[1].

Diese Forschungsergebnisse bestätigen praktische Beob­achtungen. Die Psycho­login Allison Fries untersuchte Kinder, die von ihren leiblichen Eltern vernachlässigt worden waren und deshalb längere Zeit in Heimen gelebt hatten. Später wurden die Kinder adoptiert und wuchsen in normalen Ver­hältnissen auf. Dennoch hatte die mangelnde Fürsorge in ihrer frühesten Kindheit Spuren im Re­gulationssystem des Stresshormons Cortisol hinterlassen: „Die schwers­ten Ablehnungserfahrungen waren verbunden mit den höchsten gemes­senen Cortisolspiegeln, je größer die Vernachlässigung in frühester Kindheit war, desto empfindlicher reagierte das Stressaktionssystem auch noch nach Jahren danach“[2]. Auch eine gesunde psychische Ent­wicklung - und damit eine Verringe­rung von Krankheiten wie Diabetes und Adipositas nimmt durch Schal­tungen im perinatalen Zeitraum ihren Anfang: Epigenetiker empfehlen z.B. das Stillen nicht nur zur Vorbeugung gegen Depressionen, sondern auch zum Absenken des Risikofaktors Übergewicht[3].

„Die Erkenntnisse aus Montreal, Trier, Madison und vielen anderen Labo­ratorien auf der Welt untermauern jedenfalls, was sensible Eltern intuitiv schon immer gespürt haben und Psy­chologen mit ihren Analysen schon oft belegen konnten:

Ein Kind entwickelt sich besser, wenn es in einer Umgebung auf­wächst, die Geborgenheit und sinn­volle Anregungen aller Art zugleich bietet. Die Epigenetiker decken all­mählich auf, welche positiven Prozes­se im Gehirn der Kinder angestoßen werden, wenn Erwachsene sie lieb haben, ihnen häufig vorlesen, sich viel mit ihnen unterhalten und sich die Zeit nehmen, so oft es geht mit ihnen zu spielen“[4].

Diese Erkenntnisse kommen mir so bekannt vor, als hätten die Autoren im Auditorium meiner Vorträge ge­sessen, wie ich sie seit vierzig Jahren halte, um geschwächten Lebensschicksalen vorzubeugen. Hofen wir, dass diese wissenschaftlichen Befunde endlich mehr Gehör finden.

Copyright Christa Meves, 2009.

Der Artikel erschien im Newsletter von "Verantwortung für die Familie e.V.", Ausgabe 01/2010



[1] Spork S.101

[2] Spork S.105

[3] Spork S.159

[4] Spork S.110f

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ImageChrista Meves studierte Germanistik, Geographie und Philosophie an den Universitäten Breslau und Kiel, sowie Psychologie in Hamburg. Nach ihrer Fachausbildung an den Psychotherapeutischen Instituten in Hannover und Göttingen praktizierte sie als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Die in Uelzen arbeitende, vielfach national und international ausgezeichnete Expertin, ist Autorin von 116 Buchpublikationen mit Übersetzungen in 13 Sprachen. Gesamtauflage in deutscher Sprache: sechs Millionen Exemplare. Die Arztfrau und Mutter zweier Töchter konvertierte 1987 zum katholischen Glauben und war von 1978 bis 2006 Mitherausgeberin der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur". Ihr besonderes Anliegen ist es, die Erziehungsarbeit von Familien zu unterstützen. Dafür setzt sie sich mit dem Verein "Verantwortung für die Familie e.V." ein, der zur Zeit bundesweit regionale Elternschulen mit dem Namen ElternColleg-Christa Meves (ECCM)® einrichtet.

 

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