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Die hohe Staatskunst in der SPD am Beispiel der Causa Maaßen


21.09.18

Die hohe Staatskunst in der SPD am Beispiel der Causa Maaßen

Ein Zwischenruf von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Der Konflikt um die Besetzung des Präsidentenamtes des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist neu aufgebrochen. In der SPD ist die Stimmung aufgeheizt, die Wogen schlagen hoch.

Kehrtwende unter Druck

Andrea Nahles ist mächtig unter Druck geraten. Viele Vertreter der SPD haben die Vereinbarung nicht für gut befunden, die die SPD-Vorsitzende mit der Vorsitzenden der CDU und dem Vorsitzenden der CSU getroffen hat. Sie wollen den Preis nicht zahlen, der für die Absetzung von Hans-Georg Maaßen fällig werden würde. Die SPD- und Fraktionsvorsitzende blickt deswegen zwei Sitzungen in der Parteiführung und in der Bundestagsfraktion am Montag entgegen, in denen der direkte Konflikt zwischen ihr und ihren Genossinnen und Genossen unausweichlich aufbrechen könnte.

ImageNahles kommt dem zuvor und machte heute eine Kehrtwende. Sie will die Entscheidung, die der Öffentlichkeit vor wenigen Tagen bereits verkündet wurde, wieder rückgängig machen und neu verhandeln. Nahles bemerkte zu ihren Gründen: "Wir haben uns geirrt."

SPD-Vize Ralf Stegner, der auf jeden noch so schiefen Topf glaubt, den passenden Deckel liefern zu müssen, applaudierte der Vorsitzenden. Er verkündete, es sei eine Stärke von Nahles, sich korrigieren zu wollen.

Der Juso-Chef Kevin Kühnert hält sich gar nicht erst mit vermeintlichen Stärken von Andrea Nahles auf, sondern sagt ihr gleich, was sie in den Nachverhandlungen zu tun hat. Kühnert in der ZEIT: "Maaßen darf kein öffentliches Amt mehr bekleiden." Der Zwiespalt, in dem Andrea Nahles und die SPD stecken, ist groß. Jan Fleischhauer meinte im SPIEGEL, darüber müsse sich die SPD nicht wundern. wenn sie Kühnert das Ruder anvertraue (siehe Abbildung links).

Keine unausweichliche Entwicklung

Es hätte nicht so weit kommen müssen und dürfen. Denn:

  1. Es war bereits vor den beiden Treffen der Koalitionsspitzen bekannt, dass Innenminister Seehofer die scharfe und - wie ernst zu nehmende Stimmen finden - überzogene Kritik der SPD an der von Hans-Georg Maaßen geäußerten Skepsis über das umstrittene antifa-Video nicht teilte. Seehofer hatte unmißverständlich sein Vertrauen und seine Wertschätzung der Kompetenz von Hans-Georg Maaßen ausgedrückt.
  2. Die positive Bewertung von Horst Seehofer ist für jeden, der um ein ausgewogenes und sachliches Urteil bemüht ist, nachvollziehbar. So ist beispielsweise der Verfassungsschutzbericht 2017, den der Innenminister zusammen mit Hans-Georg Maaßen im Juli vorstellte, ein Dokument, das die unterschiedlichen Gefährdungen der freiheitlichen Demokratie in hervorragender Weise aufzeigt. Es ist also keineswegs unverständlich, dass der Innenminister einen verdienten Mitarbeiter wegen einer nicht nur von ihm als hochgespielt gesehenen Bemerkung gegenüber einer Tageszeitung nicht in Schimpf und Schande einfach entlassen will, bloß weil die SPD dies außerhalb jeder rechtlichen, fachlichen und politischen Zuständigkeit ihm abverlangt.
  3. Von vornherein war daher klar, dass die SPD ihren Willen nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Innenministers durchsetzen konnte, ohne dafür auch Kompromisse eingehen zu müssen. Unabhängig davon, dass die Absicht von Seehofer, Hans-Georg Maaßen als Staatssekretär im eigenen Ministerium zu verwenden, kritisch gesehen werden kann, ist offensichtlich: großen Spielraum hat ihm das Vorgehen des Koalitionspartners SPD nicht gelassen. Er stand mit dem Rücken zu Wand.
  4. Die SPD muss es sich selbst als Fehler zuschreiben, eine fachliche Äußerung eines Amtsträgers aus dem Ressortbereich des Innenministers derart zu skandalisieren, dass sich der Innenminister um des Koalitionsfriedens willen zwar gezwungen sah, die SPD-Forderung zu erfüllen, nicht jedoch um den Preis, seine eigene Glaubwürdigkeit und Integrität preiszugeben. Dass sich die CDU-Vorsitzende Angela Merkel bei der Lösung des Problemes nicht als reine Erfüllungsgehilfin der SPD erweisen konnte, hätte die SPD ebenso bedenken müssen. So kam es zu einer nicht hinreichend zu Ende gedachten Entscheidung, mit der die Koalitonsspitzen eine Koalitionskrise bewältigen wollten, die von der SPD und ohne zwingende Notwendigkeit heraufbeschworen worden war. Letztlich muss sich die SPD selbst fragen, ob sie klug beraten war, in der Causa Maaßen derart vorzugehen.
  5. Statt Verantwortung für das zu übernehmen, was die SPD und ihre Vorsitzende zu einem großen Teil selbst zu vertreten haben, zeigte Andrea Nahles zunächst mit dem Finger auf Horst Seehofer und wollte ihm die Verantwortung zuweisen. Doch diese Taktik ging nicht auf. Die Genossinnen und Genossen wollten sich damit nicht zufrieden geben. Besonders ambitioniert tat sich die wahlkämpfende Landesvorsitzende der SPD aus Bayern, Natascha Kohnen, hervor, die sogar im Beisein von Andrea Nahles erklärte, dass sie von dem, was die SPD-Chefin vereinbart hatte, überhaupt nichts hält. Somit machte Andrea Nahles heute eine Kehrtwende und will die erst vor drei Tagen öffentlich verkündete Vereinbarung aufkündigen. Sie erwartet von ihren Koalitionspartnern, dass die Entscheidung zurückgezogen und neu verhandelt wird. Der ganze Vorgang kann kaum als vertrauenserweckend und verlässlich, sondern eher als kopflos und chaotisch bezeichnet werden.
  6. Chaotische Verhältnisse scheinen mittlerweile für die SPD typisch zu werden. Das konnte schon beim Chaos, das Martin Schulz unmittelbar nach der Bundestagswahl ohne Not entfachte, beobachtet werden: sich schnell, stramm und falsch öffentlich festzulegen, anstatt mit ruhiger Sachlichkeit und überlegt zu redeln und zu handeln. Überlegtes Reden und Handeln war einst ein Markenzeichen von Helmut Schmidt. Mit Wehmut denken wohl nicht wenige an diesen großen Sozialdemokraten zurück.
  7. Innerhalb der SPD wurde der Streit um Hans-Georg Maaßen beispielsweise vom Generalsekretär der SPD von Rheinland-Pfalz als Posse bezeichnet. Was dabei jedoch übersehen wird, ist, dass die SPD Regie führt und größtenteils die Hauptrollen besetzt. Die "rote Löwin" Andrea Nahles wurde von den Genossinen und Genossen, an der Spitze der Juso-Chef Kühnert, zur Jagd auf Horst Seehofer und Hans-Georg Maaßen gehetzt. Sie ist zwar gesprungen, dabei aber krachend als Bettvorleger gelandet. Das ist Posse in Vollendung, könnte gesagt werden. Der Begriff Posse scheint allerdings aufgrund der außer Kontrolle geratenen Tragweite, die dem ganzen Geschehen beigemessen werden muss, fehl am Platze zu sein. 

Groteske statt hoher Staatskunst

Was sich in der Causa Maaßen ereignet, ist viel eher eine Tragikomödie oder - wie es Dürrenmat bezeichnen würde - eine Groteske, deren Ausgang wieder offen ist. Wie heute zu hören war, sind Angela Merkel und Horst Seehofer zum Gespräch mit Andrea Nahles bereit, wenn dadurch eine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann, wie Seehofer meinte.

Es wäre zynisch zu sagen: Neues Spiel, neues Glück! Der Ausgang ist offen. Mit hoher Staatskunst hat das alles wenig zu tun, was auf der höchsten politischen Schaubühne in Berlin präsentiert wird. Wer danach auf der Suche ist, hat bisher vergebens gesucht.

Zu hoffen ist, dass sich die Koalitionsspitzen für ihr nächstes Gespräch von klarem Verstand und diplomatischem Geschick leiten lassen.


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