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Das Übel "Schwulenfeindlichkeit" war schlimmer als das Übel "Silvana Koch-Mehrin"


15.07.09

Das Übel "Schwulenfeindlichkeit" war schlimmer als das Übel "Silvana Koch-Mehrin"

Die Grünen werden unfreiwillig zum Steigbügelhalter für eine Parteikarrieristin der FDP

(MEDRUM) "Wir hatten uns zwischen zwei Übeln zu entscheiden", erklärten die Grünen bei der Wahl der Vizepräsidenten des Europaparlaments ihre Stimmabgabe beim dritten Wahlgang für Silvana Koch-Mehrin, der Kandidatin aus den Reihen der FDP.  Koch-Mehrin war im ersten und zweiten Wahlgang bei der Wahl von 14 Vizepräsidenten mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Erst im dritten Wahlgang ergatterte sie den begehrten Posten als Vizepräsidentin mit einem blamablen Stimmenanteil von knapp 30 Prozent.

15 Kandidaten bewarben sich um die 14 Posten. Dazu gehörte auch die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl Silvana Koch-Mehrin. Die FDP-Kandidatin erzielte in den beiden ersten Wahlgängen das mit Abstand schlechteste Stimmenergebnis aller 15 Bewerber und landete an letzter Stelle. Selbst bei ihren deutschen Kollegen stieß sie mehr auf Kritik als auf Wertschätzung. Weniger als 25 Prozent der möglichen Stimmen (148 und 141 von 684 Stimmen) waren ein Beweis für die Fragwürdigkeit ihrer Kandidatur. Dass sie dennoch am Ende mit Mühe und Not einen der 14 Posten ergattern konnte, hatte sie nur dem Umstand zu verdanken, dass es überhaupt einen dritten Wahlgang gab, nachdem auch andere Mitbewerber in den beiden ersten Wahlgängen nicht die Mehrheitsmarke von 50 Prozent der Stimmberechtigten erreichten. Zu den Mitbewerbern gehörte der polnische Konkurrent Kaminski, der beim zweiten Wahlgang noch vor Koch-Mehrin an 14. Stelle lag.

Erst im dritten Wahlgang entschied daher die einfache Stimmenmehrheit in der Reihenfolge der Stimmenanteile, welche Kandidaten einen Posten als Vizepräsident übernehmen durften. Einer von 15 Kandidaten mußte zwangsläufig ausscheiden. Es wäre Silvana Koch-Mehrin gewesen, wenn da eben nicht der Pole Kaminski mit ihr ins Rennen gegangen wäre und erst im dritten Wahlgang auf Platz 15 knapp hinter Koch-Mehrin abgerutscht wäre. Die Gründe für diesen kleinen Unterschied waren nicht parteipolitischer Natur. Es waren die Persönlichkeitsprofile, die keine Zustimmung fanden.

Dabei spielten die Grünen das Zünglein an der Waage. Sie entschieden sich, im dritten Wahlgang für Koch-Mehrin zu stimmen, weil sie nur so Kaminski verhindern konnten. Kaminski war für die Grünen nicht wählbar, denn er hatte gegen ein "heiliges" Gebot der Grünen verstoßen. In der Vergangenheit soll er Äußerungen von sich gegeben haben, die die Grünen als "schwulenfeindlich" brandmarkten. So setzten die Grünen das "Parlamentsübel" Koch-Mehrin an die vorletzte Stelle, um das noch größere "Übel Schwulenfeindlichkeit" Kaminski abzuwenden. Damit hatten die Grünen die Weichen gegen Kaminski gestellt. Er landete im dritten Wahlgang mit 174 Stimmen nur noch auf Platz 15, während es Koch-Mehrin dank der Stimmen der Grünen mit nun 186 Stimmen gerade so schaffte, knapp vor Kaminski auf Platz 14 vorzurücken. Koch-Mehrin kann somit als 14. Bewerberin künftig als Vizepräsidentin in Erscheinung treten, wenn sie denn bereit sein sollte, künftig auch zu erscheinen.

Ein Stimmenanteil von knapp 30 Prozent der Parlamentskollegen (186 von 644) ist jedoch ein erbärmlich geringer Zuspruch für eine Kandidatin, die diese Kollegen als Vizepräsidentin vertreten will. Es ist kein Beweis der Vernunft, wie Koch-Mehrin nach dem Wahlfiasko glauben machen wollte, sondern ein Mißtrauensbeweis mit der mehrheitlichen Ablehnung von 70 Prozent an die Adresse einer Parlamentskollegin, die in der vergangenen Legislaturperiode mehr durch Talkshow-Auftritte als durch Mitarbeit im Parlament von sich reden gemacht hat, wie es politische Kollegen formulierten. Ihr scheint entgangen zu sein, dass die Partei der Liberalen das Image einer Spaßpartei seit geraumer Zeit loswerden will. Doch wenn es um reputationsträchtige Posten geht, scheint es keine Schamgrenze bei der Bewerberin Koch-Mehrin zu geben. Da sind auch niedrigste Zustimmungsraten kein Grund, von einer Kandidatur Abstand zu nehmen.

Die Grünen rechtfertigten ihre Stimmabgabe für Koch-Mehrin beim dritten Wahlgang mit der Entschuldigung, dass der Pole Kaminski in der vergangenen Legislaturperiode mit rassistischen und schwulenfeindlichen Äußerungen aufgefallen sei. "Zwischen zwei Übeln haben wir uns für das geringere entschieden", sagte der Sprecher. Mit dem schlechten Ergebnis in den beiden ersten Runden sei Koch-Mehrin jedoch ein "Denkzettel" verpasst worden.

So ist die schwulenpoltisch motivierte Ablehnung der Grünen von Kaminski zu einer Wahlentscheidung mutiert, die eine Posse von erster Güte aus dem Europaparlament präsentiert. Der gestrige Wahlakt und die politische Begleitmusik kann den Wählern, von denen ohnehin nur noch eine Minderheit zur Wahl gingen, nicht das Gefühl geben, den politischen Akteuren dieses Parlamentes besonderes Vertrauen entgegenbringen zu können. Doch dass das Vertrauen der Wähler nicht besonders ernst genommen wird, hat Koch-Mehrin schon in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt. Statt das Mandat des Wählers wahrzunehmen, hat sie der Arbeit der Ausschüsse ihren Stempel durch Abwesenheit aufgedrückt.

Auch das aktuelle Geschehen in Brüssel liefert einen Grund mehr, dem Bundesverfassungsgericht dankbar zu sein, dass es dem europapolitischen Ausverkauf aufgrund der Intervention aus den Reihen der CSU einen Riegel vorgeschoben hat. Es ist zu hoffen, dass auch Angela Merkel und die CDU diese Botschaft ernst nehmen und nicht nur pro forma die Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes erfüllen wollen.

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