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Anna Kyrieleis: Seid euch nicht selbst das Wichtigste.


12.09.08

Anna Kyrieleis an die Parteien: "Seid euch nicht selbst das Wichtigste."

Kommentar in den Tagesthemen zu den Führungskrisen in der SPD und Berliner CDU

(MEDRUM) Erstes Thema der gestrigen Tagesthemen in der ARD war die
Abwahl von Friedbert Pflüger (CDU) als Fraktionsvorsitzender im
Berliner Senat von seinen "Parteifreunden" in Berlin. Anna Kyrieleis
vom rbb kommentierte das Geschehen in der Berliner CDU und betrachtete 
es im Zusammenhang mit der Führungskrise in der SPD aus der Sicht des
Wählers, dem sich ein Geschehen in den Führungsriegen der Parteien
präsentiert, das seinen Erwartungen an die Parteien kaum gerecht wird.
Dazu Anna Kyrieleis:

"Die Wähler sind nicht an Ränkespielen und Hinterzimmerintrigen
interessiert, sondern an Lösungen für die wirklichen Probleme.
Anderenfalls wird aus den Führungskrisen der Parteien eine
Glaubwürdigkeitskrise der gesamten Politik.  Seid also ehrlich, seid
glaubwürdig und seid euch nicht selbst das Wichtigste, seid für die
Menschen da!" 

Vor allem der Schlußsatz dieses Kommentars könnte ebenso aus der
Predigt eines Pfarrers einer christlichen Kirche stammen. Er wäre kaum
gesprochen worden, wenn das tatsächliche Geschehen in den Parteien
nicht widerspiegeln würde, dass diese Maxime in der Realität auf den
Kopf gestellt zu sein scheint. Und dies nicht erst seit dem Rücktritt
von Kurt Beck und der Abwahl von Friedbert Pflüger, wie die
ansteigenden Zahlen von Protestwählern und Nichtwählern gezeigt haben.
Wie gehen Politiker miteinander um? Kurt Becks Rücktrittserklärung hat
offenbart, dass dieser Umgang alles andere als ein vertrauensvoller,
menschlich integrer Umgang ist. Die Worte "Ränkespiele" und "Hinterzimmerintrigen"
treffen deshalb den Nagel auf den Kopf. Und Medienvertreter spielen die
ihnen zugedachte Rolle in solchen unwürdigen Ränkespielen, wie die
Spiegel-Vorabveröffentlichung vom vergangenen Samstag über die Kür von
Steinmeier gezeigt hat.

Was aber für führende Köpfe in den Parteien gilt, gilt nicht für die
Parteien allein, wie auch das Gebahren von Führungskräften in der
Wirtschaft und selbst Gewerkschafts- und Betriebsratfunktionären uns vielfach vor Augen geführt hat. Das entschuldigt und
relativiert das Geschehen keineswegs. Im Gegenteil. Die Gesellschaft
ist umso mehr darauf angewiesen, dass die politischen Eliten ihrer
Vorbildrolle gerecht werden. Wer, außer ihnen, hat sonst die Macht und
Legitimation, Normen zu setzen und ihre Einhaltung einzufordern, wenn
nicht die von den Bürgern gewählten, politischen Repräsentanten? Das
aber können führende politische Persönlichkeiten nur, wenn sie selbst
glaubwürdig sind.

Für die Menschen da zu sein, muß deshalb, wie Anna
Kyrieleis es gesagt hat, das leitende Prinzip für sie sein. Dies muss sich gerade auch dann zeigen, wenn es konkret wird, wie im Fall der christlichen Familie Gorber aus Überlingen. Weder die CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, noch Ministerin Ursula von der Leyen (CDU), noch die Fraktion des Deutschen Bundestages haben trotz mehrfacher Hinweise auf das Geschehen bis heute nicht erkennen lassen, dass sie das Schicksal dieser Familie interessiert. Auch für diese Menschen da zu sein und Lehren daraus zu ziehen, wäre ein Dienst an einem Gemeinwesen, zu dem auch Familie Gorber gehört, ein Akt des Dienstes und Dienens für die Menschen. Friedrich
der Große formulierte diese Maxime für sich selbst einst so: "Der erste Diener des Staates bin
ich." Und auf der Grabplatte von John F. Kennedy ist eingraviert: "Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern frage, was du für den Staat tun kannst.

Dienen ist nicht nur in den Eliten längst aus der Mode gekommen und
durch die Selbstverwirklichung des Individuums ersetzt worden, in der der Mensch das eigene ICH zum Maßstab des Denkens und Handelns macht. Das hat
auch vor den Parteien nicht halt gemacht. Auch sie sind Kinder einer
Gesellschaft, in der der NÄCHSTE allzu oft auf der Strecke bleibt und
dem ICH geopfert wird. Dies schlägt sich nicht zuletzt auch in der Kinderarmut unserer Gesellschaft, den unverändert hohen Abtreibungszahlen, aber auch bei der Niedrigstentlohung von Arbeitern und in prekären Beschäftigungsverhältnissen nieder.

Innehalten, Rückbesinnung und Umkehr wäre ein
zukunftsweisender Weg. Die christliche Botschaft wäre hierfür das
notwendige geistige Fundament. Kardinal Meisner ist einer der Rufer, der gerade die christlichen Parteien an die Wurzeln des "C" erinnert, das Teil ihres Namens ist und für diese Botschaft steht. Denn sie ist es, die lehrt, sich nicht selbst das
Wichtigste zu sein, sondern für die Menschen da zu sein. Aber, wieviel
zählt noch diese christliche Botschaft? In den Parteien und sonstwo.


 

Die Erklärung von Friedbert Pflüger zu den Vorgängen um seine Abwahl:

Persönliche Erklärung von Friedbert
Pflüger

Donnerstag, den 11. September
2008

Sehr geehrte Damen und Herren,

sicherlich verstehen Sie,
dass die letzten Tagen für mich nicht leicht waren. Ich habe nur wenig
geschlafen und die Ereignisse haben mich natürlich sehr mitgenommen: Aber ich
verliere lieber meinen Posten, als meine Selbstachtung! Nicht die Abwahl,
sondern ein nicht geführter Grundsatzstreit wäre eine Niederlage. In den letzten
zwei Jahren haben wir, meine Fraktionskollegen und ich, viel erreicht: Vor allem
eine Regierungsperspektive jenseits von Rot-Rot. Volker Ratzmann, der
Grünen-Vorsitzende, hat noch vor wenigen Wochen in Zitty gesagt: Mit mir könne
er sich moderne Großstadtpolitik vorstellen.

Ich möchte an dieser Stelle
allen danken, die an meiner Seite sind, nicht zuletzt die Mitglieder und die
Sympathisanten meiner Partei. Wir haben viel miteinander auf die Beine gestellt,
unter anderem die Tempelhofkampagne, mit der wir 530.000 Menschen mobilisiert
haben.

Es ging mir in den letzten Tagen nicht um einen zusätzlichen
Posten. Ich brauche keinen neuen Job. Es ging um Berlin und um eine moderne
Großstadtpartei CDU. Dafür kämpfe ich. Neben dem Fraktionsvorsitz habe ich den
Parteivorsitz nur deshalb angestrebt, weil die Bündelung der Kräfte in einem
politisch-strategischen Zentrum für meine weitere erfolgreiche Arbeit mehr als
notwendig erschien.

Ich möchte einen ganz besonderen Dank an Stefanie
Vogelsang, meine Kreisvorsitzende aus Neukölln, und an meinen Neuköllner
Kreisverband richten. Meine Basis hat zu mir gehalten bis zum Schluss. Frau
Vogelsang ist Bundestagskandidatin. Sie ist ein großes politisches Risiko
eingegangen, indem sie sich klar auf meine Seite stellte. Sie hat hohen Respekt
verdient!

Dann möchte ich auch den früheren Regierenden Bürgermeistern
Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen danken. Sie haben mir in den letzten
Tagen mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ich habe vor ihrer Arbeit großen
Respekt. Das sind große Regierende Bürgermeister. An deren Tradition hätte ich
gerne angeknüpft. Das ist jetzt leider nicht mehr möglich.

Ein Wort zum
angekündigten Rücktritt von Ingo Schmitt. Ich habe davor Respekt. Aber warum hat
er das nicht eine Woche vorher gemacht?

 


MEDRUM-Artikel: -> Kurt Beck zu seinem Rücktritt: "Dies war eine bewußte Entscheidung"