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Brauchen Kinder Religion?


04.09.08

Brauchen Kinder Religion?

Begutachtungsgespräch über Glauben und Erziehung zwischen Zwang und Freiheit

"Brauchen Kinder Religion?" heißt eines der Bücher, das im Schrank des Gutachters steht, der sich ein Urteil über die Erziehungsfähigkeit der Eltern Gorber aus Überlingen bilden soll. Es verwundert nicht, dass Fragen zu Pluralismus, Darwinismus, Kreationismus, Religion, Bibel und Erziehung intensiver Gesprächsgegenstand der gestrigen Begutachtung  waren.

Fragen aus diesem Themenkatalog beschäftigten schon und befassen auch weiterhin ganze Generationen Gelehrter und Ungelehrter. Gestern beschäftigte dies auch die Eltern Gorber im Gespräch mit einem Gutachter in Tübingen, dem sie sich unterzogen hatten, wie es bei der Gerichtsverhandlung des Amtsgerichtes Überlingen am 29. Juli dieses Jahres festgelegt worden war. So breitgefächert die dahinter sich verbergenden Weltanschauungen und Glaubensfragen sind, so kontrovers sind die Auffassungen der Menschen in Vergangenheit, Gegenwart, und sicherlich auch Zukunft. Ob man von der Diktatur des Relativismus oder vom Christentum als Wahnsystem spricht, hängt vom Standpunkt des Beobachters und seinen Überzeugungen ab.

Auch was in Kinderzimmern vermittelt wird, hängt vom Standpunkt des Beobachters ab und dem, was er für richtig und wichtig hält. Geben die Eltern ihren Kindern eine Kinderbibel, lesen sie ihnen aus der Bibel vor, oder überlassen sie ihnen ein Buch wie das von Michael Schmidt-Salomon "Wo bitte geht's zu Gott?", oder werden die Kinder dem Konsum der pädagisch oft fragwürdigen Kindersendungen eines ungebegrenzten Fernsehangebotes und der heutigen digitalen, virtuellen Medienwelt überlassen? Die Divergenzen sind riesenhaft. Gleichermaßen divergieren die Auffassungen und Erziehungspraktiken von Eltern in einer pluralen Gesellschaft. Ist derjenige erziehungsfähig, der die Bibel mehr wörtlich versteht oder derjenige, der sie mehr in einem übertragenen Sinne versteht, oder auch derjenige, der die Bibel völlig ablehnt? Was also und wer also gilt als erziehungsfähig?

Im Falle der Eltern Gorber ist es klar, dass sie ihr eigenes Verständnis von einem christlichen Glauben haben, der ihr Leben leitet, und dass sie aus dem vielfältigen Angebot das auswählen, was sie für richtig halten: Es ist nicht der Fernseher, und es ist keine christenfeindliche Lektüre. Die Eltern Gorber wählen aus, was ihre Kinder beziehungsfähig macht, sie leben ihren Kinder vor, dass sie selbst angenommen sind, und dass sie andere Menschen annehmen sollen. Das gehört zu den zentralen Anliegen, die die Eltern Gorber mit ihrer Erziehung verbinden. Das haben sie gestern auch auf die Frage des Gutachters entgegnet, der nicht nur weltanschauliche Fragen mit ihnen erörterte, sondern ebenso nach ihren Erziehungszielen fragte. "Dazu gehören die Toleranz und Freiheit, sich auch selbst für den Glauben zu entscheiden", sagte Mutter Gorber. Sie reicht die Erklärung nach: "Wir können nur vorleben, was unsere Kinder dann tun, steht in ihrem Ermessen. Wir haben die Kinder nicht einmal taufen lassen. Auch das müssen und sollen sie selbst entscheiden." Dass dies so ist, kam in einer Antwort zum Ausdruck, die Tochter Sarai kürzlich gegenüber MEDRUM gab. "Ich teile nicht alle Auffassungen, die mein Vater vertritt, aber doch viele. Ich gebe ihm nicht in allem, aber in vielem recht.", erklärte Sarai selbstbewußt, überzeugend und mit sympathisch schwäbischem Akzent.

Für den Beobachter und stillen Mithörer schließt sich die Frage an, wo sich das Wahnsystem, in dem die Eltern Gorber nach Vermutung von Teilen ihrer Außenwelt angeblich leben, versteckt haben könnte. Vielleicht hat es der Gutachter entdeckt. Er versuchte jedenfalls nach dem Eindruck der Eltern, den Dingen gründlich auf den Grund zu gehen. Zu welchen Schlüssen er gekommen ist, bleibt vorerst sein Geheimnis, zumindest so lange, wie sein Gutachten nicht auf dem Tisch liegt.

Leserbriefe

Ich bin selbst nicht religiös aber unterstutze die Religionsfreiheit. Leider scheinen viele andere Atheisten nicht diesen Ansicht zu teilen. Ich habe vor einigen Monaten das neue Buch "Der Gotteswahn" von Richard Dawkins gelesen und war sehr entsetzt, dass ein ganzes Kapitel dem Thema gewidmet ist, eine religiöse Erziehung sei Kindesmisshandlung. Dieses Gedanken ist in atheistischen Kreisen ziemlich verbreitet geworden. Ich schaudere beim Gedanken, wie intolerant solche Leute, die über Toleranz reden, sind und was für Folgen es geben könnte.