24.06.08
Die Perversion wird perfektioniert - Soll und Ist im deutschen Schulsystem
Christa Meves geht mit der deutschen Bildungsdoktrin hart ins Gericht
(Medrum) Wir brauchen lern- und schulfreudige Kinder und Jugendliche - produzieren aber mittelmäßige, abgestumpfte, verunsicherte, oder gar hirndrogentherapierte Nachhilfeschüler. Wir brauchen Ingenieure und Naturwissenschaftler - lassen aber Mathematik und Naturwissenschaften abwählen. Wir brauchen Leistungseliten - unterdrücken aber besondere Begabungen. Wir brauchen differenzierte Förderung - verabreichen aber Einheitskost und nivellieren Leistungsunterschiede. Gleichzeitig inflationieren wir Leistungskontrollen und verordnen die Ganztagstherapie, als Reaktionen auf den Pisaschock.
Das sind die Entwicklungen, die Christa Meves in ihrer Analyse unter dem Titel "Das deutsche Bildungssystem züchtet Verlierer statt Leistungsträger" im Vergleich zwischen Soll und Ist nennt (kath.net). Diese Defizite schlagen sich in einem boomenden Markt nieder, der Lösungen für ratlose, hilflose und verzweifelte Schüler und Eltern bietet, ein Markt der Zuflucht zu rettenden Ufern, die in der Schule selbst nicht gefunden werden.
So erblühen die Märkte der Heilung mit einem Angebot teilweise schon esoterisch anmutender Künste. Geradezu harmlos der erste Markt, der Markt der Nachhilfe. Ein hübsche Summe, die da Eltern gegen das Versagen ihrer Sprösslinge investieren: 1 Milliarde EURO. Nachhilfe wird heute fast an jeder Straßenecke angeboten und reichlich in Anspruch genommen. Ein kostenträchtiger, aber noch nicht unbedingt gefährlicher Markt. Gefährlicher erscheint da schon der zweite Markt, der Supermarkt der Hirndrogen. Wo der Knabe nicht stillsitzen kann und will, greift man zur Hirndroge Ritalin, die sich mittlerweile zur einer Standarddroge entwickelt hat. Weitere Märkte öffnen sich: so wollen zum Beispiel kinestetische Heilslehren energetische Blockaden lösen helfen, die Lernschwierigkeiten bedingen. Der menschlichen Phantasie sind bekanntermaßen kaum Grenzen gesetzt, die Geschäftsmodelle, mit denen sich Geld verdienen lässt, vermehren sich und tragen weiter zur Verunsicherung vor allem von ratlosen Eltern bei, die neue Fluchtburgen der Rettung sehen: obskure Methoden, die unter Begriffen wie Brain-Gym, Psycho-Kniffe oder Superlearning firmieren, nennt Christa Meves als Beispiele.
Soll und Ist im deutschen Schulsystem könnten kaum weiter auseinanderliegen. Zu diesen Schlüssen kommt angesichts der zahlreichen unerfreulichen Erscheinungen jedenfalls Meves. Dabei beschränkt sie sich sogar nur auf Ausschnitte des Desasters. Die hohe Zahl von Jugendlichen, die ohne Schulabschluss in das Leben entlassen werden, könnte als eine der vielen Katastrophen hinzugefügt werden. Trotz erschreckender Mißerfolge werden aus Sicht von Christa Meves die verhängnisvollen Ursachen nicht erkannt und schon gar nicht beseitigt. Stattdessen wird die Perversion der Gleichstellungsideologie perfektioniert. Sie sieht Meves als Hauptgrund für die erschreckende Entwicklung. Es seien die falschen Grundvorstellungen, die die Gleichheitsideologen auf dem Weg durch die Instanzen dem deutschen Schulwesen verordnet haben. Darin liege letztlich die Hauptursache für das Versagen.
Man kann dies mit dem Begriff Gleichheitsschule belegen. Christa Meves nannte es in ihrem Buch "Verführt. Manipuliert. Pervertiert." die Einheitsschule, die einem Gleichheitswahn entspringe. Da nach der Gleichheitslehre theoretisch alle gleich sind, muss nur die Praxis so gestaltet werden, damit sich auch in Praxis Gleichheit ergibt. Wo dies nicht gelingt, wird weiter kräftig daran gearbeitet, die Gleichheit zu suchen und herzustellen. Es erinnert an eine Situation, in der sich ein Blinder in eine Sackgasse verirrt hat, deren Ende er nicht sehen kann, in die aber stets weiter hingeht, um irgendwann einen Weg herauszufinden, den es aber nicht gibt.
Christa Meves macht deutlich: Statt Bildungsvielfalt und differenzierter Förderung unterschiedlicher Neigungen und Begabungen beherrscht die Einheitsstraße Abitur immer mehr unsere Köpfe und Wertvorstellungen. Das, was am Halbtag schon nicht zum Funktionieren gebracht wird, wird zur Ganztagstherapie ausgeweitet. Gleichzeitig wird das Problem der erwerbshindernden Betreuung der Schulkinder miterledigt.
Das aber ersetzt nach Meves Auffassung nicht die Reform, die nötig wäre. Nötig ist, so fordert Christa Meves, gleichwertige Anerkennung der Verschiedenheit und rechtzeitige Differenzierung mit fachlichen Abschlüssen statt einer Uniformität, die das Abitur und universitären Bildungsabschluss idealisiert. Darin sieht Meves die richtige Antwort auf das Siechtum im deutschen Schulwesen, das Lerneifer systematisch zum Schwinden bringt und mehr Versager als dringend benötigte Leistungseliten produziert.