18.10.15
Friedenspreisträger Kermani redet der Politik und Gesellschaft ins Gewissen
Die Frankfurter Paulskirche war Schauplatz eines eindringlichen Appells des mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichneten Orientalisten und Schrifstellers, mehr gegen den Krieg vor der Haustür Europas zu tun
(MEDRUM) Bei seiner heutigen Rede in der Frankfurter Paulskirche appellierte der Preisträger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Navid Kermani, dass die westlichen Staaten viel entschlossener gegen den Krieg und die Massenmorde vor der Haustür Europas, vor allem im Irak und in Syrien, vorgehen müssten, diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich, möglicherweise auch militärisch.
Auszug aus der Rede Kermanis:
"Nur drei Stunden von Frankfurt entfernt werden ganze Volksgruppen ausgerottet und vertrieben, Mädchen versklavt, viele der wichtigsten Kulturdenkmäler der Menschheit in die Luft gesprengt, gehen Kulturen und mit den Kulturen auch eine uralte ethnische, religiöse und sprachliche Vielfalt unter. ...
Aber wir versammeln uns und stehen erst auf, wenn eine dieser Bomben des Krieges uns selbst trifft. ...
Es ist beglückend zu sehen, wie viele Menschen in Europa und insbesondere in Deutschland sich für Flüchtlinge einsetzen. Aber dieser Protest und diese Solidarität sie bleiben noch zu oft unpolitisch:
Nicht dass es einfache Antworten darauf gäbe, wie eine Millionenstadt wie Mossul befreit werden könnte. Aber wir stellen uns nicht einmal ernsthaft die Frage.
Eine Organisation wie der Islamische Staat mit hochgerechnet 30.000 Kämpfern ist für die Weltgemeinschaft nicht unbesiegbar - sie darf es nicht sein. ...
Der IS wird den Horror so lange steigern, bis wir in unserem europäischen Alltag sehen, hören und fühlen, dass dieser Horror nicht von selbst aufhören wird. Paris wird nur der Anfang gewesen sein und Lyon nicht die letzte Enthauptung bleiben. Und je länger wir warten, desto weniger Möglichkeiten bleiben uns. Anders gesagt, ist es schon viel zu spät.
Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen?
Ich rufe nicht zum Krieg auf. Ich weise lediglich darauf hin, dass es einen Krieg gibt, und dass auch wir, als seine nächsten Nachbarn uns dazu verhalten müssen, womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich. Denn dieser Krieg kann nicht mehr allein in Syrien und im Irak beendet werden. Er kann nur von den Mächten beendet werden, die hinter den befeindeten Armeen und Milizen stehen: Iran, die Türkei, die Golfstaaten, Russland und auch der Westen. Und erst wenn unsere Gesellschaften den Irrsinn nicht länger akzeptieren, werden wir auch die Regierungen bewegen. ...
Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun, aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer eigenen europäischen Haustür tun, den des islamischen Staates und den, des Assad-Regimes."
---------- Ende des Redeauszugs ----------
Am Ende seiner etwa 50-minütigen Rede bat Kermani, nicht zu applaudieren, sondern zu beten, für zwei Padres, für 200 entführte Christen, für die Befreiung aller Geiseln und für die Befreiung Iraks und Syriens.
Zu den Ehrengästen des Festaktes gehörte der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert.
Video der ZDF-Übertragung des Festaktes zur Preisverleihung: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Navid Kermani. Rede von Navid Kermani ab Minute 51 (Einladung zum Gebet: Minute 100).
Information über Navid Kermani: Wikipedia