02.09.14
Gauck: Stabilität und Frieden in Europa in Gefahr
Umstrittene Äußerungen des Bundespräsidenten zum Ukrainekonflikt und Russland bei Gedenkveranstaltung in Polen
(MEDRUM) Beim Gedenken am 1. September an den Ausbruch des II. Weltkriegs 1939 in Polen verurteilte Bundespräsident Gauck die russische Politik mit Blick auf die Ukraine als Gefahr für den Frieden in Europa und kündigte verstärkte Verteidigungsanstrengungen an.
Bei der Gedenkveranstaltung auf der Westerplatte bei Danzig anläßlich des 75 Jahre zurückliegenden Überfalls von Hitler-Deutschland auf Polen zog der polnische Staatspräsident und Gastgeber Komorowski Parallelen zwischen dem damaligen Angriff auf Polen und dem Konflikt in der Ukraine. Komorowski sprach dabei von "Putins Invasion" in der Ostukraine.
Gauck spricht von Aufkündigung der Partnerschaft
Auch Bundespräsident Gauck erhob schwere Vorwürfe gegen Russland. Nach dem Fall der Mauer seien von der Europäischen Union, der NATO und der Gruppe großer Industrienationen jeweils besondere Beziehungen zu Russland entwickelt worden. Diese Partnerschaft sei von Russland "de facto" aufgekündigt worden. Gauck weiter: "Ja, es ist eine Tatsache: Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent sind wieder in Gefahr." Zugleich kündigte Gauck an, Europa werde zusammenstehen und seine Verteidigungsanstrengungen anpassen.
Massive Kritik an Russland übte bei einem Gedenkappell auf der Westerplatte auch der polnische Regierungschef und künftige Ratspräsident der EU Donald Tusk: "Wenn wir heute auf die Tragödie der Ukrainer blicken, auf den Krieg im Osten unseres Kontinents, dann wissen wir, dass der September 1939 sich nicht wiederholen darf." Er forderte die Staaten der EU und NATO auf, solidarisch gegen Russland zusammenzustehen.
Auf Unterstützung durch die NATO drängt auch der Ex-Boxer Vitali Klitschko. In einem Gastbeitrag für die Zeitung BILD fordert er, die ukrainische Armee mit militärischer Ausrüstung zu unterstützen (www.bild.de/news).
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel warf Russland bei ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag am Montag vor, die Grenzen in Europa verändern zu wollen. Es sei klar, dass es sich nicht um einen innerukrainischen Konflikt, sondern um einen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine handele. Die EU werde weitere Strafmaßnahmen vorbereiten, so Merkel.
Bernd Riexinger: "Präsidialer Fehlgriff"
Als "präsidialen Fehlgriff" bezeichnete im Handelsblatt der Parteivorsitzende der Grünen, Bernd Riexinger, die russlandverurteilenden Äußerungen von Bundespräsident Gauck. Das Fundament eines friedlichen Europas sei der Ausgleich, der Austausch einseitiger Schuldzuweisungen sei Sprengstoff, so Riexinger. "Gerade die Menschen im Osten wissen, dass wir für den Frieden den Ausgleich auch mit Russland brauchen", fügte er hinzu und warf Gauck vor, statt Sensibilität zu zeigen, Öl ins Feuer eines Konfliktes in Europa zu gießen.
Heribert Prantl: Unbesonnener Präsident
Massive Kritik sieht sich Gauck auch in den Medien gegenüber. So kommentiert die Süddeutsche Zeitung seine Rede in Polen unter der Überschrift "Der unbesonnene Präsident". Mit keinem Wort habe Gauck die 30 Millionen sowjetischen Kriegsopfer erwähnt. Das sei nicht klug, so der Kommentator Heribert Prantl. Gauck habe eine andere Rolle als der NATO-Generalsekretär. Es sei nicht seines Amtes, "verbal aufzurüsten". Der Kommentator weiter: "Er soll, um ein Wort eines Vorgängers zu zitieren, Versöhner sein, nicht Spalter. Das gilt nicht nur für die nationale, sondern auch für die internationale Ebene."
General a.D. Kujat: NATO versagt
Eine differenziert kritische Haltung in der Frage, wie die NATO und ihre Mitgliedsstaaten mit dem Ukraine-Konflikt umgehen, vertritt insbesondere der ehemalige Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, Harald Kujat. Kujat, der ehemals auch Generalinspekteur der Bundeswehr war, kritisiert im Interview mit der Deutschen Welle die Art und Weise, wie sich die NATO-Staaten verhalten, als eskalierend. Um aus der Sackgasse herauszukommen müsse man sich an einen Tisch setzen (Auszug aus dem Interview mit der Überschrift "Kujat: NATO versagt auf eklatante Weise" in der Textbox oben).
Propaganda statt seriöser Berichterstattung beim WDR?
Ein Versagen ganz anderer Art musste der WDR einräumen. Er hatte in einem Artikel über "Russen auf dem Vormarsch" ein Foto einer Panzerkolonne aus dem Krieg in Georgien kurzerhand mit dem Text versehen: "Russische Panzer fahren am 19.08.2014 noch unter Beobachtung von Medienvertretern in der Ukraine". Der Tagesspiegel schreibt, der WDR habe, nachdem das Foto im Internet als falsch identifiziert worden war, das Bild mittlerweile ausgetauscht (Falsche Bilder bei der ARD zum Ukraine-Konflikt).
Nach neuesten Hinweisen der UN ist durch den Ukrainekonflikt eine humanitäre Katastrophe entstanden. Demnach sind in der Ost-Ukraine etwa 1 Mio. Menschen auf der Flucht - davon mehr als 700.000 auf der Flucht nach Russland.
02.09.14 | Falsche Bilder bei der ARD zum Ukraine-Konflikt | Tagesspiegel |
02.09.14 | Joachim Gaucks Russland-Schelte - Der unbesonnene Präsident | Süddeutsche Zeitung |
02.09.14 | Gaucks Drohung gegen Putin erzürnt die Linke | WELT |
02.09.14 | Linken-Spitze attackiert Gauck wegen Russland-Drohungen | Handelsblatt |