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Wowereits Abschied kein ruhmvoller Abgang


11.12.14

Wowereits Abschied kein ruhmvoller Abgang

Regierungswechsel im Berliner Abgeordnetenhaus wird nach 13-jähriger Amtszeit mit Schlussfeier im Schwulen Museum besiegelt

(MEDRUM) Klaus Wowereit nimmt Abschied. Sein Amt als Regierender Bürgermeister von Berlin wird ab heute von Michael Müller übernommen. Dieser Wechsel hinterlässt zwiespältige Gefühle.

"Wowereit geht, ... "

"Wowereit geht, Müller ist da", so der Sender rbb. Welche Spuren Michael Müller (SPD) - seit 2011 Bürgermeister und Senator für Stadtentwicklung und Umwelt - als neuer Regierender Bürgermeister einst hinterlassen wird, zeigt die Zukunft. Wowereits Spuren sind jetzt Geschichte, stellenweise so tief und morastig, dass er letztlich in ihnen steckenblieb. Denn das Großprojekt BER gehört zu seiner Hinterlassenschaft: ein Flughafen, der bereits vor Jahren in Betrieb gehen sollte, dessen Abschluss aber immer noch nicht absehbar ist und horrende Kosten verursacht, Tag für Tag.

"Wowereits Desaster"

Der Nachrichtensender ntv schrieb im August 2014: "Wann der Berliner Großflughafen eröffnet wird, weiß niemand. Auch die genauen Kosten mag keiner beziffern. Das Debakel bleibt vor allem mit einem Namen verbunden: Klaus Wowereit." Es ist bereits 2006 gewesen, als Wowereit den ersten, symbolischen Spatenstich setzte. Einst in der Hoffnung, nicht lange danach den Großflughafen Berlins eröffnen zu können. Doch schon bald begannen die Verschiebungen. Noch im Juni 2010 verkündete Wowereit, die Eröffnung müsse auf 2011 verschoben werden. Jetzt, dreieinhalb Jahre später ist eine Eröffnung noch immer nicht in Sichtweite. Und bis dahin kostet der Flughafen, jeden Monat mehr als 50.000.000 € (in Worten: fünfzig Millionen Euro), ohne dass auch nur ein Flugpassagier befördert wird ( www.flughafen-berlin-kosten.de ). Es ist ein finanzielles Desaster, das zu einer Erblast geworden ist, an der Wowereit in verantwortungsvoller Stellung beteiligt war. Er war schließlich als Aufsichtsratsvorsitzender mehrere Jahre sogar "Chefaufseher" des Projektes. Aber das lernt man weder auf Parteitagen noch auf Christoper Street Days. Treffend erscheint, was Spiegel-Online jetzt dazu schreibt: "Seine Wurstigkeit ist am Ende doch noch zum Problem geworden. Denn das Debakel um den geplanten Berliner Großflughafen BER wurde auch zu Wowereits Desaster." Wowereit hat die Flucht angetreten. Er entzieht sich der Möglichkeit, ihn für das Versagen im größten Projekt Berlins weiter als Regierungschef politisch in die Verantwortung genommen zu werden.

ImageMehr als 150 Diözesanzentren

Das finanzielle Volumen des Desasters ist beträchtlich. Es wuchs von 2006 geschätzten Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro in die Höhe von jetzt geschätzten 5,4 Milliarden. Dafür hätte der ehemalige Bichof von Limburg, der als Protz-Bischof in den Medien verunglimpft wurde und - bei allen Schwächen und Fehlern - der Diözese ein solides und funktionstüchtiges Zentrum hinterlassen hat, mehr als 150 solcher Zentren bauen können. Das macht die unterschiedlichen Dimensionen deutlich, um die es in diesen beiden Fällen geht.

Stehende Ovationen statt Hetzjagd

Ein anderer Unterschied ist: Der Bischof von Limburg wurde vom Hof gejagt und Wowereit wird gefeiert. Der rbb berichtete, Wowereit sei mit stehenden Ovationen im Berliner Abgeordnetenhaus verabschiedet worden. Auch im Bundesrat wurde ihm ein wohlgesonnener Abschied bereitet. Er habe alles drauf, von Charme bis schnoddrig, von brüsk bis liebreizend, meinte der amtierende Bundesratsvorsitzende Volker Bouffier bei seinen Worten zur Verabschiedung Wowereits aus dem Bundesrat. Man muss Bouffier nicht widersprechen, denn so falsch mag das alles nicht sein. Aber klar ist auch: Dies sind nicht die Fähigkeiten, die gefragt sind, wenn es darum geht, die Geschicke einer Stadt und eines Mammutprojektes mit überzeugenden Ergebnissen zu lenken. Und überzeugt hat Wowereit dort, wo es um die Lösung schwieriger Probleme und das erfolgreiche Bestehen großer Herausforderungen geht, nur mit großen Einschränkungen, wie BER gezeigt hat. Wer sich an stehenden Ovationen beteiligt, will darüber offenbar bewusst hinwegsehen.

Eine "schwule Ikone", an der Alltagsprobleme abperlten

Ein so hohes Regierungsamt wie das des Regierenden Bürgermeisters von Berlin ist keine Spielwiese für Leute, die rhetorisch zu beeindrucken wissen, auch nicht für Partylöwen ("Party-Bürgermeister"), zu denen er gerechnet wurde, sondern ein höchst anspruchsvolles Arbeitsfeld, das nur mit Kompetenz, Klugheit und schweißtreibender Arbeit auf Dauer erfolgreich beackert werden kann. Da kommt dann auch wenig Spaß auf. Doch das Wort Spaß hat Wowereit nicht nur während seiner Amtszeit sondern auch bei seiner Verabschiedung im Berliner Abgeordentenhaus strapaziert. Es habe ihm Spaß gemacht. Doch: Dafür wird kein Politiker gewählt. Was haben die Berliner Bürger nun davon, dass es Wowereit Spaß gemacht hat? Die Anhänger der CSD-Paraden mögen seinen Abgang betrauern, aber jene, die Steuern und Abgaben erwirtschaften müssen, und jene, die von Wowereits unzureichender Arbeit betroffen sind, werden ihm wohl weniger nachtrauern. Spiegel-Online schreibt: „... nirgends feiern sie ihn wie hier. Ein Abend im Dezember, der Regierende Bürgermeister ist ins Schwule Museum von Berlin gekommen. Er soll eine Ausstellung über sich selbst eröffnen, es gibt Sekt und Musik, der Ehrengast bestaunt die Exponate. Der Kurator flötet: ¸Sie sind eine schwule Ikone.’ Wowereit schmunzelt.

Zur "schwulen Ikone" Wowereit gehört, dass er in einer Bischofskirche in Berlin über Homosexualität predigte (Wowereit lobt EKD: Für Homosexuelle ein verlässlicher Bündnispartner), und dass in seiner Regierungszeit in Berlin damit begonnen wurde, mit der sexuellen Umerziehung der Schulkinder ernst zu machen (MEDRUM berichtete 2011: Berlin macht mit sexueller Umerziehung ernst). Wer Wowereits Auffassung nicht gänzlich teilte, lief Gefahr, als Reaktionär von ihm bezeichnet zu werden. So erging es 2009 dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Norbert Geis in der Maischberger-Sendung "Schwule und Lesben an die Macht", als er sich zum traditionellen Familienbild von Ehe und Familie bekannte und meinte, die Ehe sei "eine Gemeinschaft zwischen Mann und Frau, ausgerichtet auf Kinder, auf Familie" und stehe unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, und Wowereit dem konservativen Politiker ein "reaktionäres Ehebild" vorhielt (MEDRUM berichtete).

Die Konturen der eher dunklen Kehrseite von Wowereit sind auch über das bisher gescheiterte Flughafenprojekt hinaus ebenso unverkennbar geworden. Noch einmal Spiegel-Online hierzu: "Die Alltagsprobleme schienen irgendwann an ihm abzuperlen: Die S-Bahn fährt nicht? Die Baustellen nerven? Die Hundescheiße auf den Bürgersteigen? Wählt doch jemanden anders, war seine Haltung."

Wowereits Rücktritt kann schwerlich als siegreicher Abgang gedeutet werden, schon eher als eine Niederlage, die einer Kapitulation gleicht, auch wenn die Schwulenszene ihn vermissen und dies anders sehen wird: Wowereits Abschied ist alles andere als ein ruhmvoller Abgang.


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Leserbriefe

Für mich ist es schwer solch einen Mann ernst zu nehmen samt der Partei, in der er immer noch Mitglied ist. Jeder andere Bürger im Normalleben oder der Wirtschaft würde gefeuert werden oder sogar vor Gericht gezogen werden. Hier läuft einer umher, der sich um nichts kümmert als "Spass" zu haben und das Steuergeld der Bürger auf den Kopf zu hauen.

Jetzt tritt er ab, viel zu spät und es wird keine Nachwirkung für ihn haben - hohe Pensionsansprüche sind gesichert aus den Steuergeldern und Berlin + Flughafen gehen pleite mit unbestimmten Ziel, was der Endpreis sein wird. Die armen Bayern, die das alles im Finanzhaushalt als Ausgleich bezahlen müssen. Eine absolute Schande für die SPD, die doch bessere Leute hat als solch einen Mann in oberster Spitze zu halten. Ich wähle jedenfalls etwas anderes.

Museum - das ist gut. Weniger gut ist die Kostenexplosion des Flughafens. Wobei die Frage bleibt: braucht man den eigentlich?

Es gibt Zeitgenossen, denen das Volk allergrößten Beifall spendet, Amtsmissbrauch mit Nachsicht versieht und sonst auch mit Blindheit geschlagen ist, wenn es darum geht Heuchelei und Unfähigkeit zu erkennen. Demgegenüber die wackeren Prediger, die dem Volk ins Gewissen reden und von sich selbst weg auf andere verweisen, die mehr Verdienst, Unterstützung und Ehrung verdienen. Diese aber belauert man genau, ob sich nicht ein Makel oder Fehler finden lässt. Sei er noch so klein, so reicht es doch zur großen Anklage und Abrechnung mit allem Übel der Welt und zur Beruhigung des eigenen Gewissens.