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Vorwürfe der Justizministerin an Kirche unangemessen


27.02.10

Vorwürfe der Justizministerin an Kirche unangemessen

Wahre Tragödie ist massenhafter sexueller Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft

von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Die Bundesministerin für Justiz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), echauffierte sich in den Tagesthemen am Montag (22.02.10)  wegen sexueller Mißbrauchsfälle über die Katholische Kirche. Sie erweckte im Interview den Eindruck, die Katholische Kirche habe kein Interesse an der Aufklärung und arbeite nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Diese Vorwürfe wies der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, mit Nachdruck als undifferenzierte Polemik zurück. Die schwerwiegende Verdächtigung der Kirche verstellt zudem den Blick auf die Tragödie des massenhaften sexuellen Mißbrauchs, der Jahr für Jahr an Minderjährigen in der Gesellschaft begangen wird.

ImageLeutheusser-Schnarrenberger (Bild links): "Über 120 Mißbrauchsfälle allein in den letzten wenigen Wochen und es ist ja wohl zu befürchten, daß es immer mehr werden. (...) Es ist leider bisher nicht ersichtlich, daß sie (die Verantwortlichen der Katholische Kirche) ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser und lückenloser Aufklärung gezeigt haben. (...) Ich erwarte dass die Verantwortlichen der katholische Kirche endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten. Kindesmißbrauch ist ein Offizialdelikt und da können nicht andere darüber entscheiden, ob es verfolgt wird oder nicht. Und deshalb muß natürlich sofort die Staatsanwaltschaft informiert werden."

Erzbischof Robert Zollitsch trat den Anschuldigungen der Ministerin entgegen; in der Tagesschau am 23.02.10: "Die Bundesjustizministerin hat im Interview mittels falscher Tatsachenbehauptungen, wie ich meine, maßlos gegen unsere katholische Kirche polemisiert. (...) Und ich wundere mich, daß gerade die Bundesjustizministerin undifferenziert und emotional Stellung nimmt." Zollitsch forderte die Ministerin auf, ihre haltlosen Vorwürfe zurückzunehmen.

Leutheusser-Schnarrenberger erweckte zum einen den Eindruck, es hätten sich alleine in den letzten Wochen über 120 Mißbrauchsfälle ereignet.  Doch dieser Eindruck ist falsch. Fakt sei, so Zollitsch, daß die jetzt in die öffentliche Diskussion geratenen Fälle 25 bis 30 Jahre zurückliegen. Er wies auch die Verdächtigung zurück, die Kirche arbeite nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen und stellte dazu fest, er habe bereits am Montag keinen Zweifel daran gelassen, dass alle Fälle lückenlos aufgeklärt werden müssen. "Die staatlichen Behörden sind schnellstmöglich eingeschaltet", sagte der Bischof. Die Staatsanwaltschaft erhalte alle Einblicke.

Tatsache ist, daß die Leitlinien der Katholischen Kirche aus dem Jahr 2002 eine auf den jeweiligen Fall bezogene Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden vorsehen. Darin heißt es: "In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wird dem Verdächtigten - falls nicht bereits eine Anzeige vorliegt oder Verjährung eingetreten ist - zur Selbstanzeige geraten und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert. Kontaktperson für die staatlichen Strafverfolgungsbehörden ist der vom Bischof Beauftragte (vgl. Leitlinie I, 1). Wenn die Staatsanwaltschaft bereits aufgrund einer Anzeige recherchiert, wird mit ihr Verbindung aufgenommen."

Die Verfahrensweise der Katholischen Kirche geht über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus, die sich aus unserem Rechtssystem und den geltenden Gesetzen ergeben. Denn auch bei Offizialdelikten besteht für Vertreter von Institutionen wie etwa der Kirche keine gesetzliche Pflicht zur Anzeige eines Verdachtes. Offizialdelikte sind solche Delikte, die von den Strafverfolgungsbehörden ohne Rücksicht auf das Opfer verfolgt werden müssen. Die Justiz hat hier keinen Ermessensspielraum. Verfolgt ein Staatsanwalt solche Straftaten nicht, macht er sich der Strafvereitelung im Amt schuldig. Die Strafverfolgungsbehörden sind bei Bekanntwerden eines Verdachtes daher verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen und müssen das Delikt zur Anklage bringen, wenn der Verdacht auf eine strafbare Handlung durch die Ermittlungen bestätigt wird. Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft können Vertreter der Kirche oder vergleichbarer Institutionen jedoch Rücksicht auf das Opfer nehmen, wenn es etwa die hohe Belastung ablehnt, die mit Ermittlungen und einer Strafverfolgung häufig verbunden sind. Sie können - unabhängig von einer innerkirchlichen Ahndung - deswegen nicht wegen Strafvereitelung im Amt oder angeblicher "Vertuschung" bestraft werden.

Diese gesetzlich und kirchlich geltenden Regelungen sollte eine Bundesjustizministerin kennen und bedenken, bevor sie die Kirche unter den Generalverdacht stellt, ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen. Falls die Ministerin andere gesetzliche Regelungen und weitergehende Verpflichtungen für notwendig hält, müsste sie eine dementsprechende Strafrechtsreform in die Wege leiten, die es künftig Institutionen wie der Kirche - ohne Rücksicht auf das mutmaßliche Opfer und die Begründetheit eines Verdachtes gegen den vermeintlichen Täter - verbindlich vorschreibt, bei jeglichen Verdachtshinweisen auf ein Offizialdelikt auch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten.

Die gegenwärtige Diskussion konzentriert sich unverhältnismäßig stark auf Hinweise über Verdachtsfälle des Kindesmißbrauchs, die sich in Ordensgemeinschaften oder kirchlichen Organisationen in vergangenen Jahrzehnten ereignet hatten. Dabei gerät die Tatsache, daß jedes Jahr etwa 16.000 Fälle des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in der deutschen Gesellschaft allein schon polizeilich erfasst werden (bei vermutlich hoher Dunkelziffer), in den Hintergrund. Daß in unserer Gesellschaft Kinder massenhaft mißbraucht werden, ist eine wirkliche Tragödie großen Ausmaßes. Dies sollte bei der zum Teil verständlichen Aufgeregtheit über Vertreter der Kirche auch der Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger bewußt werden.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Mitglied des Beirats der "Humanistischen Union", einem Verein, der gegen den Einsatz des Strafrechts zur Durchsetzung von Sexualmoral eintritt, der sich dagegen aussprach, mit den Instrumenten der Kriminalpolitik den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten, und der sich für die Abschaffung eines glaubensgebundenen Religionsunterrichtes als ordentliches Schulfach einsetzt sowie den Einzug der Kirchensteuer abschaffen will. Mit ihrer jetzt vertretenen Position, strafrechtliche Verfolgung könne "durch nichts ersetzt werden", vertritt sie eine Auffassung, die im krassen Widerspruch zu dem von ihr beratenen Verein "Humanistische Union" steht. Nach Ablegung ihres Amtseides als Bundesministerin weigerte sie sich - ebenso wie der FDP-Politiker Dirk Niebel - gegenüber dem Evangelischen Pressedienst, eine Angabe zu ihrer Konfession zu machen.

Video Tagesthemen-> Leutheusser-Schnarrenberger im Interview

Video Tagesschau -> Zollitsch fordert Richtigstellung

Video Tagesthemen -> Interview mit Erzbischof Zollitsch


Leutheusser Schnarrenberger -> Bundesjustizministerin fordert lückenlose Aufklärung

Humanistische Union -> Erklärung des Bundesvorstandes der Humanistischen Union zum Sexualstrafrecht

Artikel von Gabriele Kuby -> Wenn sich die Böcke zum Gärtner machen


Leserbriefe

Unangemessen sind die Beschuldigungen Schnarrenberges vor allem auch deshalb, weil sie einem Verein angehört, der die Strafen gegen Pädophilie aufweichen will: KATH.NET-Exklusiv: Die deutsche Bundesjustizministerin gehört dem Beirat eines Vereines an, der "gegen den Einsatz des Strafrechts zur Durchsetzung von Sexualmoral" eintritt (http://www.kath.net/detail.php?id=25757).

Für mich ist auch eindeutg, dass die Kirche nicht von sich aus Mitarbeiter der Kirche anzeigt. Die Kirche wartet schön bis sich alle Missbrauchten selber gemeldet haben. Hier in Irland gibt es darüber einen Report, der klar zeigt, dass die Kirche mit der Polizei zusammen gearbeitet hat um alles zu verschleiern. Die Täter wurden dann einfach versetzt. Was ist mit den Fällen, von den die Kirche weis, aber nicht anzeigt und auch die Betroffenen nicht mehr mit den an ihnen verübten Taten was zu tun haben wollen. Ich selber bin auch von meinem Lehrer in einer katholischen Schule angegrabbelt worden, habe mich aber gewehrt. Meine Mitschüler haben das nicht immer tun können und es über sich ergehen lassen, was ich selbst immer wieder gesehen habe. Es war in der 8. und 9. Klasse 1977/78. Na dann mal noch schönes Verschleiern.