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Sind die Eltern Gorber erziehungsfähig?


28.07.08


Sind die Eltern Gorber erziehungsfähig?
Schwarzwälder Bote stellt die falsche Frage zum Kindeswohl und Sorgerecht
von Kurt J. Heinz

(MEDRUM) Bei der morgigen Verhandlung des Familiengerichtes Überlingen muss der Richter darüber beschließen, ob das Sorgerecht, das den Eltern der Kinder aus der Familie Gorber teilweise entzogen worden ist, den Eltern zurückgegeben wird, oder ob es auch weiterhin dem Jugendamt übertragen bleiben soll.

Eine
schwierige Entscheidung, meint der "Schwarzwälder Bote" in seiner
Ausgabe vom 26. Juli, die der Richter zu treffen habe, und stellt am Ende des
Artikels über den Fall der Familie Gorber mit der Überschrift
"Gotteskinder brauchen keine Handies und kein Radio" die Frage:
"Darf eine aufgeklärte Gesellschaft tatenlos zusehen, wenn Minderjährige
in einem religiösen Zwangssystem aufwachsen?". Diese Frage des
Schwarzwälder Boten braucht eigentlich nicht gestellt zu werden. Denn darauf
kann es nur eine Antwort geben: "Nein. Eine aufgeklärte Gesellschaft darf
nicht tatenlos zusehen, wenn Minderjährige in einem religiösen Zwangssystem
aufwachsen."

Warum
also stellt der Schwarzwälder Bote eine Frage, die bereits beantwortet ist? Sie
suggeriert, im Fall der Familie Gorber müsse die aufgeklärte Gesellschaft tätig
werden. Anstatt diese Frage zu stellen, hätte - vorausgesetzt es gibt dafür triftige
und ernst zu nehmende Anhaltspunkte - allenfalls gefragt werden können, ob im
Fall der Familie Gorber überhaupt ein Fall vorliegt, bei dem geprüft werden
müsse, ob die Kinder der Familie Gorber in einem religiösen Zwangssystem
aufwachsen. Die tatsächlich aber zu stellende Frage, auf die der Richter eine
Antwort finden muss, lautet: "Sind die Eltern erziehungsfähig und wachsen
die Kinder in einem Elternhaus auf, das dem Wohl der Kinder in
verantwortungsbewußter Weise gerecht wird?"

Diese
Frage stellt der Schwarzwälder Bote erst gar nicht. Er vermittelt schon durch
seine Überschrift und die Verwendung einiger negativ besetzter Begriffe und
mutmaßlicher Unterstellungen den Eindruck, hier müsse eingeschritten werden.
Mit der Formulierung "Gotteskinder brauchen kein Handy und kein
Radio" vermittelt er die Botschaft, hier lebten Bürger nach
"urchristlichen" Maßstäben, die nicht in die Zeit einer
"aufgeklärten Gesellschaft" passten. Wer Kindern ein Handy, ja sogar
ein Radio vorenthalte, der zwinge sie zu einem abgeschotteten Leben in der
gesellschaftlichen Isolation, wird dem Leser nahegebracht. Dass diese Familie
über eine Tageszeitung, über ein Radio und sogar einen Computer verfügt, wird
nicht nur nicht erwähnt, sondern schlicht unterschlagen. Damit ließe sich weder
die Überschrift des Artikels noch die Imagination rechtfertigen, hier liege der
Fall eines weltfremden, isolierten Lebens vor, das durch religiöse
Zwangsvorstellungen geprägt sei.

Stattdessen
wird die Fiktion eines Zwangssystems durch den Bericht über Erzählungen von
Nachbarn mit "Blockspitzelmentalität" erhärtet. Nach diesen
Erzählungen sei die Mutter immer "seltsamer" geworden, lebe die
Familie „sehr abgeschottet", und müssten die Kinder der
"urchristlichen "Großfamilie ständig beten. Solche Attribute beweisen
nichts, lassen aber alles als denkbar erscheinen. Eine unredliche Methode des
Umgangs mit Menschen in einer freiheitlichen, aufgeklärten Gesellschaft. Einige
derart windige und mißtrauenstreuende Erzählungen von Nachbarn rechtfertigen
noch keineswegs die Frage, ob die Gesellschaft hier tatenlos zusehen könne. Es
wäre absurd, dies zu tun.

Das
Gebet in dieser Familie besteht aus einer morgendlichen kurzen Andacht und aus
dem Tischgebet. Ist dies falsch, nur weil es heute in vielen Familien nicht
mehr zum Leben gehört? Das Morgengebet gehörte vor nicht allzu langer Zeit auch
noch zum morgendlichen Schulbeginn christlicher Schulen. Es war nicht nur
christlich sondern auch pädagogisch gesehen ein Gewinn. Es ist es mehr und mehr
aus den Schulen verbannt worden. Es gehört aber durchaus noch zum Lebensalltag
vieler moderner christlicher oder auch moslemischer und jüdischer Familien,
ebenso wie das tägliche Brot. Wer dies als Kennzeichen eines religiösen
Zwangsystems deutet, will seine persönlichen Maßstäbe anderen mit Willkür
aufzwingen.

Dies
trifft in ähnlicher Weise auch für das Kriterium der überschriftleitenden
Kommunikationsmittel zu. Sie bestimmen leider häufig und in ungesundem Übermaß
den Lebensalltag von Kindern. Dass Kinder heute allzu häufig dem Mißbrauch des
Fernsehers, Computer und von Playstations unterliegen, weil ihnen die Eltern
diese Gerätschaften bereits im Grundschulalter in die Kinderzimmer stellen, ist
eine Tatsache, die von Erziehungswissenschaftlern immer schärfer kritisiert
wird. Die "modernen Kommunikationsmittel" nehmen Kindern Kreativität,
blockieren ihre Lern- und Kontaktfähigkeit, ja sie beeinträchtigen vielfach die
gesamte geistige und emotionale Entwicklung unserer Kinder. Aufgeklärte Eltern
machen darum dem Rat der Experten folgend genau das, was die Eltern Gorber
praktizieren: sie setzen ihre Kinder nicht der Gehirnwäsche des Fernsehens, der
Playstations und der Computerwelten aus, in denen Geist und Psyche eines großen
Teils unserer Kinder mittlerweile schon zwanghaft gefangen sind. Die Eltern
Gorber tun gut daran, ihre Kinder nicht in dieses Zwangssystem der
elektronifizierten Scheinwelt hineingeraten zu lassen. Wer dies in den
Gegensatz zu einer aufgeklärten Gesellschaft stellen will, verkennt und
mißdeutet gründlich die Ambivalenz unser technischen Entwicklung und unseres
Umgangs mit ihr in einer geradezu unverantwortlichen, unaufgeklärten Weise.

Die
Belege und Maßstäbe des Schwarzwälder Boten, mit denen hier eine Familie
unterschwellig diskreditiert wird, geben den Autor der Lächerlichkeit preis.
Wenn das Gebet und eine gläubig konsequente Lebensweise schon genügen sollen,
um die Erziehungsfähigkeit von Eltern anzuzweifeln, müsste die
"aufgeklärte Gesellschaft" nicht nur im Fall der Familie Gorber,
sondern bei Millionen von Familien christlichen Glaubens, der Zeugen Jehovas,
oder auch muslimischer Familien einschreiten. Eine "Lex Gorber"
müsste massenhaft Fälle des Sorgerechtsentzugs nach sich ziehen. Dies träfe
ebenso im Hinblick auf das Kriterium der "modernen
Kommunikationsmittel" zu, jedoch in genau umgekehrter Weise, wie es der
Autor des Artikels versteht. Die Frage der Erziehungsfähigkeit, die sich bei
Familie Gorber wegen ihres bedachten Umgangs mit diesen
"Folterwerkzeugen" moderner Technik gar nicht erst stellt, müsste
dann zahllosen deutschen Eltern abgesprochen werden, die nicht in der Lage oder
willens sind, diesem Fluch Einhalt zu gebieten. Dieses aber zu schreiben, würde
die massenhafte Empörung unaufgeklärter Zeitgenossen nach sich ziehen.

Stattdessen
schreibt es sich schon leichter gegen ein Elternpaar, das sich nicht durch
Versuchungen einer konsumverwöhnten und werbemanipulierten Gesellschaft beirren
lässt, sondern an dem festhält, was es aus seiner Verantwortung vor Gott,
seinen Kindern und einer humanen Gesellschaft tut: Es erzieht seine Kinder zu
Kindern, in Verantwortung vor Gott, im Geiste christlicher Nächstenliebe, zur
Menschlichkeit und Friedensliebe, in der Liebe zur Heimat, zur Achtung der
Würde und der Überzeugung anderer, zur Leistungsbereitschaft und zur
Eigenverantwortung - ganz so, wie es das Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg
den Erziehungsauftrag für die Schulen des Landes formuliert hat. Gemessen am
Willen des Gesetzgebers, erziehen die Eltern Gorber ihre Kinder also in
geradezu vorbildlicher Weise. Die Kinder der Gorbers danken dies ihren Eltern
auf ihre Weise. Sie wissen, wer um ihr Wohl besorgt ist und ihrem Wohl dient.
Sie wollen zurück zu ihren Eltern. Ist das wirklich eine schwere Entscheidung?

-> Gedanken Erhalten wir die Toleranz!


-> Schulgesetz Baden-Württemberg



Leserreaktionen zu diesem Thema:

"Es ist ungeheuerlich, was in Deutschland abgeht. Hier sollten massennhaft
Leserbriefe geschrieben werden. Wie kann man generell gegen eine solche
Entwicklung angehen. Es scheint, daß der antichristliche Geist immer mehr
zunimmt. Soll ich mich selbst anzeigen, da ich auch nach christlichen Werten zu
leben versuche?"

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"Mehr und mehr hat man den Eindruck, daß Christen speziell die Glaubens -und Meinungsfreiheit geraubt wird, die andersdenkenden, Atheisten, Moslems etc... großzügig gewährt wird! Ich wünschte, daß Ihr Artikel irgendwo erscheint und in das Plädoyer der Anwältin einfließt. Es kann nicht sein, daß unsere Grundrechte einfach übergangen werden. Vom Europäischen Gerichtshof kann man gar nichts erwarten, denn gerade da kommt ja die Entwicklung her!"


Vorheriger MEDRUM-Artikel -> Menschen aus dem In- und Ausland setzen sich für die Kinder der Familie Gorber ein



Leserbriefe

Die Frage "Darf eine aufgeklärte Gesellschaft tatenlos zusehen, wenn Minderjährige in einem religiösen Zwangssystem aufwachsen?" suggeriert doch auch, daß in der "aufgeklärten" Gesellschaft Minderjährige normalerweise bzw. überwiegend _nicht_ in einem Zwangssystem aufwachsen. Weit gefehlt! Durch die alle Minderjährigen vereinnahmende Schulbesuchspflicht wachsen in der sich ach so aufgeklärt fühlenden Gesellschaft nahezu alle Minderjährigen in einem Zwangssystem auf.

Leider erkennnen das die meisten nicht (an). Dennoch ist es so. Und wie aufgeklärt mag eine Gesellschaft wohl sein, in der gewisse, als primitiv geltende Printmedien ud Fernsehsender bzw. -sendungen die höchsten aller Leser- bzw. Zuschauerzahlen verzeichnen können?

Was heißt überhaupt aufgeklärt? Ist es als aufgeklärtes Verhalten anzusehen, wenn ich mein Kind im Alter von wenigen Wochen einer Sechsfachimpfung aussetze und kurz darauf der nächsten und so weiter? Oder ist es aufgeklärt, wenn ich genau dies ablehne?

Die obige Frage müßte korrekterweise so formuliert werden: "Darf eine dem Mainstream (selbst-)verpflichtete Gesellschaft tatenlos zusehen, wenn Minderjährige in einem religiösen Familien"system" aufwachsen?" Darauf kann die Antwort nur heißen: "Nein, sie darf nicht." Denn alle, die vom Mainstream abweichen, stellen die "Mainstreamer" in Frage. Und das scheint deren Selbstbewußtsein nicht auszuhalten.

http://schul-frei.blogspot.com

Von einen Zwangssystem ins andere Zwangssystem, welch ein Dilemma für die betroffenen Kinder.