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Raedels Analyse der Gender Agenda: Angriff auf die Familie


23.03.16

Raedels Analyse der Gender-Agenda: Angriff auf die Familie

Eine Rezension von Rolf-Alexander Thieke

(MEDRUM) Erneut hat sich der Herausgeber der „Logos Editions“ zu einem ungewöhnlichen und publizistisch wirksamen Schritt entschieden: unter dem Titel „Die Gender-Agenda: Angriff auf die Familie“ hat er in Oktavheftformat einen bedeutsamen und brandaktuellen Aufsatz des Theologen Christoph Raedel zugänglich gemacht.

Radikalität und Reichweite der Gender-Agenda nicht im Bewusstsein

ImageErklärte Absicht des Autors ist es, in unübersichtlichem Gelände eine Geländekarte zu skizzieren, die verlässlich Orientierung gibt. Und in der Tat, in seinem Aufsatz erschließt er uns verständlich einen Begriff und ein Thema, das seit Jahren hohe politische Bedeutung hat, ohne dass sich Millionen von Menschen seiner Reichweite bewusst geworden wären. Der Untertitel „Angriff auf die Familie“ thematisiert allerdings nur eine der Folgen der Gender-Agenda, gleichsam die auffällige Außenseite eines kulturellen Angriffs, wie es ihn in dieser Radikalität historisch noch nicht gegeben hat. Raedel entfaltet den Inhalt in überschaubaren, klar gegliederten Kapiteln: Der Bruch in der Logik; Spielarten des Feminismus; Die Konsequenz: Weniger Theorie - mehr Agenda; Gender Mainstreaming - Facetten einer gesellschaftsverändernden Gleichstellungspolitik; Gender Diversity - sexuelle Vielfalt leben; Eine Beurteilung der Gender-Agenda aus christlicher Sicht.

Freie Wahl der Geschlechtsidentität ein ernsthaftes Ziel

Der Zugang zum Verständnis der Programmatik ergibt sich zentral aus der geschlechter-politischen Zielsetzung; allerdings schillert hier bereits der Begriff „Geschlecht“: über den Anglizismus „Gender“ wird ein Verständnis von „Geschlecht“ eingeführt, das nicht auf die biologische Realität von Mann und Frau Bezug nimmt, sondern auf eine „soziale Kategorie“. Das Ziel: jeder Mensch soll sich in seiner sozialen Rolle eine individuelle „Geschlechtsidentität“ ganz frei wählen können, die nicht in das „knechtende“ Schema einer „Zwangsheterosexualität“ passt – sozusagen irgendwo im weiten Feld „zwischen“ oder jenseits von männlich und weiblich. Im Falle einer beruflichen Bewerbung heißt dies: jeder soll zum Ausdruck bringen können, wie und wo er sich selber einordnet. … Was vielleicht nach einer prometheischen Anmaßung aussieht, ist von den Autorinnen dieser Sozialphilosophie gleichwohl ernsthaft so gemeint.

BImageefreiung von "heterosexuellem Zwangsregime"

Zum besseren Verständnis der Grundlagen führt der Autor in die aus heutiger Sicht wichtigsten drei Strömungen des Feminismus ein, die wir in groben Zügen jeweils dem 19., dem 20. und dem 21. Jhdt. zuordnen können: den Differenzfeminismus, den Gleichheitsfeminismus und den Konstruktivismus (auch als Dekonstruktivismus bezeichnet). Maßgebliche Ideengeberin für den Gleichheitsfeminismus war demnach Simone de Beauvoir, die Lebensgefährtin von Jean Paul Sartre. Ihr zentrales Anliegen galt der Überwindung der männlichen Dominanz in den sozialen Rollen besonders durch Loslösung der Frau aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom (Ehe-)Mann. In ähnlicher Position argumentiert Alice Schwarzer gegen das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern an. Dem wohnt ein starker Impuls in Richtung auf Ehe- und Familienfeindlichkeit inne. Gegen Ende des 20. Jhdts. kommt es dann, von den USA ausgehend, zu einer Radikalisierung dieses Ansatzes: der Literaturwissenschaftlerin Judith Butler zufolge wird die Vorstellung vom „Geschlecht“ bzw. von Geschlechtsidentität nicht von einer unveränderlichen biologischen Basis aus bestimmt, sondern entscheidend über die sprachliche Zuordnung. Die Sprache sei es (z.B. durch Zuordnung von männlichen und weiblichen Vornamen bei der Geburt), die uns jeweils dazu verführe, alle Menschen in ein „heterosexuelles Zwangsregime“ zu pressen. Besser sei doch, einer Vielfalt von Geschlechtsidentitäten den Vorzug zu geben.

Keine Frauenquote ohne weibliches Geschlecht

So sehr sich verschiedene Etappen des Feminismus gut unterscheiden lassen, so schillernd und in sich widersprüchlich bleibt indes das implementierte deutsch-englische Sprachspiel „gender“ als Begriff für ein individuell zu wählendes „soziales Geschlecht“. ‚Richtig bunt‘ wird das Verwirrspiel erst, wenn man einen Blick in die neueren Bildungspläne wirft, die unter dem Vorzeichen von „sexueller Vielfalt“ entworfen sind: „Die Kategorie Geschlecht wird hier bis zur Konturlosigkeit vervielfältigt; die bei Facebook derzeit möglichen Geschlechtsidentitäten-Wahloptionen sind da nur der Anfang.“ Faktum aber ist: Für die Forderung nach Frauen-Quoten kann nicht etwa die subjektive Selbstdefinition jedes Einzelnen die Basis-Kategorie bilden, denn damit fiele jede Überprüfbarkeit dahin. Maßgeblich bleibt in jedem Fall die Tatsache: Wo immer es um die Emanzipation der Frau geht, bedarf es des Weiblichen als biologischer Kategorie.

Logik hat keine Hochkonjunktur

Raedel wirft die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass ein so schillernder und inkonsistenter sozialphilosophischer Theorieansatz sich so einflussreich durchsetzen konnte. Er benennt schlüssig handlungsorientierte, historische und zeitgeschichtliche Faktoren, die dies begünstigten. In diesem insgesamt schon spannenden Aufsatz gehören diese Passagen sicher zu den erhellendsten. Dies gilt auch insofern, als der Autor in diesem Kontext sein positives geistliches Zielanliegen für die ganze Auseinandersetzung zur Sprache bringt, unter anderem mit dem Satz: „Ich möchte … auch, dass uns Gottes Wort die Sicht für problematische gesellschaftliche Entwicklungen in der Gegenwart schärft.“ Seine Ausführungen illustrieren zugleich, wie Christen sich in ihrer geschärften Wahrnehmung auch selbstkritischen Einsichten aus Geschichte und Gegenwart stellen können und müssen.

Und: er warnt vor der Vorstellung, der Nachweis von logischen Brüchen im Wurzelgeflecht der Gender-Agenda (so wichtig dieser Nachweis auch ist!) könnte bei den Akteuren bzw. Akteurinnen besondere Unruhe auslösen. Im postmodernen Milieu hat Logik nicht unbedingt Hochkonjunktur. Umso wichtiger sei, so Raedel, „ein konsequent am biblischen Zeugnis ausgerichtetes (öffentliches) Eintreten für die Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit sowie für die evangelischen Lebensgestalten Ehe, Familie und Single-sein.“

Totalitärer Ansatz: verordnete Ent-Normalisierung

Von dieser Position aus lässt sich der neuere Feminismus mit seinen Entwicklungen und Optionen einer soliden Kritik aussetzen. In feministischer Perspektive sind letztlich „Ehe und Familie in ihrer traditionellen Gestalt Instrumente der Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen. Daraus folgt: Am besten weg mit der Ehe, weg mit der Familie, verstanden als Vater, Mutter, Kind! Vielfalt als Menschenrecht. Genau an dieser Stelle „schlägt der im Ansatz legitime Menschenrechtsgedanke ins Totalitäre um.“ Das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung wird dann umgebogen und aufgeboten, um jegliche öffentliche Kritik an Anspruchshaltungen und Lebensweisen z.B. von Lesben und Schwulen unmöglich zu machen bzw. zu sanktionieren. Von daher lässt sich „die Überwindung von Ehe und Familie durch deren verordnete Ent-Normalisierung“ als Hauptanliegen der Gender Agenda erkennen. Was dieser, man darf sagen, radikalfeministische und geschlechternarzisstische Ansatz in der Praxis des Alltags und auf der Ebene gesellschaftlichen Handelns näher bedeutet, wird vom Autor anschaulich erläutert. Mit nüchternem Blick auf die künftigen Sozialsysteme kann einem dann schon einmal einigermaßen „Angst und Bange werden“.

Gender ein Einfallstor für Vielfalt von Geschlechtern

Das Kapitel „Gender Mainstreaming“ (GM) benennt die Akteure, die das Leben gesellschaftspolitisch mitgestalten wollen: politische Gremien (von lokaler bis zur EU-Ebene), Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, weltanschauliche Interessenverbände (wie Kirchen), Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie Medien. Seit einem Beschluss des Europarats im Jahr 1998 wird „GM“ üblicherweise als „Gleichstellungspolitik“ interpretiert. Die im Original englischsprachige Fassung spricht von der Leitvorstellung der „Gender equality perspective“, also von gleicher Berücksichtigung der Interessen unterschiedlicher „Geschlechter“. Dem Kontext ist eindeutig zu entnehmen, dass die biologischen Geschlechter Mann und Frau gemeint sind. Der Haken dabei ist: Der Begriff ‚Gender‘ wird hier zum Einfallstor für Theorien einer endlosen Vielfalt von Geschlechtern bzw. von allerlei „Geschlechtsidentitäten“. Der unscharfe, doppelbödig verwendbare Gender-Begriff kann auf diese Weise zum Programmbegriff für gegenläufige Anliegen werden: in Richtung auf die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Mann und Frau im Sinne des Grundgesetzes oder aber in Richtung auf eine Machtergreifung von Frauengruppen bzw. Minderheiten, die sich ihre ‚Gender‘-Existenz selber definieren. An die Stelle von Gleichberechtigung tritt dann „Gleichstellung“. Genau darauf zielt jene „Peking-Deklaration“, die 1995 von der UNO- Frauenkonferenz verabschiedet wurde.

Wenn sich nun die Absicht der Gewährung von Chancengleichheit mit dem Zielprojekt Durchsetzung von Handlungs- und Ergebnisgleichheit verbindet, dann wird der Lebensgestaltung schnell ein starres Korsett aufgezwängt, das der Freiheit und der Lebensdienlichkeit zuwiderlaufen kann. Raedel illustriert auch dies an Beispielen aus dem gesellschaftlichen und privaten Bereich.

Emotionalisierung und Erotisierung der schulischen Bildung durch Sexualpädagogik der Vielfalt

Zu den besonderen Auffälligkeiten der Gender-Agenda gehört das Großprojekt „Gender Diversity - Sexuelle Vielfalt leben“. Es soll eine unbegrenzte Zahl von ‚sexuellen Identitäten‘ und Orientierungen umfassen. Der Gedanke ist: Sich auf die heterosexuelle Matrix von Mann und Frau zu konzentrieren, diskriminiere ja die vielen Menschen, die anders empfinden und sich selbst jenseits dieser Kategorien einordnen: homosexuelle, intersexuelle, transsexuelle und „queer“-Menschen gehören dazu, weil sie bestimmte tradierte Erwartungshaltungen nicht teilen. Deren Perspektiven sollen jetzt überall ganz besonderes Gehör finden. Raedel wundert sich darüber, dass nicht Menschen mit Behinderungen, deren statistischer Anteil an der Bevölkerung weit höher liegt als der von sexuellen Minderheiten, mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit finden sollen. Er wundert sich auch, dass die sogenannten LSBTTIQ-Menschen und -Minderheiten, die sehr unterschiedliche Interessen und Anliegen haben, in ein und dieselbe Gruppe gerückt werden. Und in seinem Bericht über die sog. ‚Sexualpädagogik der Vielfalt‘ wundert er sich darüber, welche Folgen diese Art Pädagogik für die Unterrichtsgestaltung hat – z.B. die bewusst inszenierte Emotionalisierung und Erotisierung des Unterrichts und unvermeidbar eine Enthemmung sexueller Gefühle. Damit schlägt das Werben für „Vielfalt“ in ein totalitäres Muster um, bei dem einfältige Akzeptanz ohne kritische Rückfragen eingefordert wird.

Nicht Gender, sondern Einladung zur erneuerten Geschlechtergmeinschaft

Erst zum Abschluss der stark deskriptiven Darstellung all dieser Sachverhalte folgt ein Kapitel, in dem Bewertungen aus christlicher Sicht in sechs dicht formulierten Abschnitten zum Zuge kommen: es geht dabei um das biblische Gesamtzeugnis von der geschöpflichen Beziehung zwischen Mann und Frau, um die vitale Bedeutung der Herkunftsfamilie, die Beziehung zwischen Freiheit und Bindung, das polare Miteinander der beiden Geschlechter in Individualität und Pluralität, um Selbstprüfung und Buße in unserem Leben unter dem Zeugnis des Evangeliums von Jesus Christus und schließlich darum, uns von Gott zu einer erneuerten Geschlechtergemeinschaft einladen zu lassen. Der Leser merkt: hier ist nicht nur brillante Sachinformation geboten, sondern auch sensible geistlich-pastorale Orientierung für die Gemeinden wie für einzelne Menschen!

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Über das Buch

ImageKlappentext:
Der Genderismus ist für Uneingeweihte nur schwer verständlich. Widersprüchlich und unsinnig erscheint, was dort mit Vehemenz vorgetragen wird. Im vorliegenden Heft erklärt Prof. Dr. Christoph Raedel allgemeinverständlich die ideologischen Hintergründe des Genderismus, die zum Teil irrwitzigen Selbstwidersprüchlichkeit der Forderungen und die Gefahren und Nebenwirkungen einer als ‚wissenschaftliche Theorie' getarnten politischen Agenda. Neben dem grundsätzlichen Ziel der gesellschaftlichen Veränderung im Sinne der Gender-Agenda, sind es vor allem die Kinder, nach denen die Theoretiker der „sexuellen Vielfalt" in der Praxis greifen. „Die Sexualpädagogik der Vielfalt ist sicherlich der Aspekt der Gender-Agenda, der unsere Gesellschaft und Eltern im Beson­deren vor allem anderen alarmieren sollte....."

Über den Autor

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