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Evangelische Solidarität


10.08.09

Evangelische Solidarität

von Joachim Cochlovius

(MEDRUM) Solidarität oder Selbstbestimmung - welchem Leitbild folgt die evangelische Kirche? Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg hat den grundlegenden Wert der Solidarität für jede menschliche Gesellschaft so charakterisiert: „Der Mensch wird geboren als hilfsbedürftiges Wesen und braucht die Solidarität der Älteren. Und er endet wieder als hilfsbedürftiges Wesen. Wir kommen ohne Solidarität nicht aus, es sei denn, wir verabschieden uns von der Idee der Gesellschaft".

Die evangelische Kirche hat sich von Anfang an bis heute als Hort und Garant menschlicher Solidarität verstanden. „Die evangelische Kirche sieht in der Solidarität mit dem hilfsbedürftigen Nächsten eine zentrale Lebensäußerung der Kirche." (Bischof Wolfgang Huber im Januar 2007 in Wittenberg). Doch wie steht es mit ihrer Solidarität mit dem hilfsbedürftigsten Nächsten, mit dem ungeborenen Kind?

Das Schwangerschaftskonfliktgesetz von 1995 hat die evangelische Kirche, die eine Kirche der Freiheit sein will, in Zwänge eingebunden, die ihr ein solidarisches Handeln für das ungeborene Kind und wahre Solidarität mit seinen Eltern nahezu unmöglich machen. Sie muß „ergebnisoffen" beraten, obwohl sie aus Solidarität mit dem ungeborenen Kind sein Leben schützen will. Sie muß in ihren Beratungsgesprächen von der „Verantwortung der Frau" als alleinigem Maßstab ausgehen, obwohl sie in ihrem Glauben einer höheren Verantwortung, der Verantwortung vor Gott folgen will. Und sie muß schließlich gegen ihren Willen eine Bescheinigung ausstellen, die der Frau die letzte Entscheidung über Leben und Tod ihres Kindes aufbürdet und die im negativen Fall die Tötung eines ungeborenen Menschen unter Straffreiheit stellt.

Es ist an der Zeit, daß sich die Kirche der Freiheit aus diesem Zwangskorsett befreit und im Blick auf die schwächsten Glieder der Gesellschaft ihrem eigenen Selbstverständnis folgt. Die evangelische Kirche hat sich durch gelebte Solidarität und Diakonie in unserem Land und darüber hinaus einen guten Ruf erworben. Als 1993 das japanische Kaiserpaar in Deutschland war, wollte die japanische Kaiserin die Betheler Anstalten sehen. Diesen Ruf darf die evangelische Kirche nicht länger dadurch gefährden, daß sie sich - entgegen ihrem eigenen Selbstverständnis - dem Leitbild der Selbstbestimmung unterwirft. Sie muß auch für das gefährdete Leben der Ungeborenen wieder ein Hort und Garant menschlicher Solidarität werden.

Noch einmal Herwig Birg. Nach den Ursachen der wachsenden Desolidarisierung gefragt, nannte er „die mangelnde Information der Menschen darüber, wie Gesellschaft funktioniert", die „mediale Dauerpropaganda" und die dadurch verursachte „flächendeckende Verdummung unserer Gesellschaft" und faßte zusammen: „Die Idee von Familie und Solidarität wurde denunziert als nicht unbedingt nötig. Sie ist aber unabdingbar".

Die evangelische Kirche leidet unter öffentlichem Ansehensverlust und Mitgliederschwund. Sie kann diesen Trend stoppen, wenn sie wieder konsequent für die „Idee von Familie und Solidarität" eintritt. Sie sollte aus ihrer Verantwortung vor Gott ein eigenes Diakoniemodell für werdende Eltern entwickeln und auf diese Weise evangelische Solidarität zeigen. Die Infrastruktur, das Knowhow und die Mitarbeiter dafür hat sie. Die Leitideen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sind überholt. Sie passen nicht mehr in eine Zeit, in der Solidarität gefragt ist und wegen der Überalterung der Gesellschaft Kinder eine höhere Aufmerksamkeit bekommen. Aus den Zwängen dieses Gesetzes kann sich die evangelische Kirche aus gutem Grund und mit gutem Gewissen verabschieden.

Copyright Joachim Cochlovius, 10.08.2009

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Dr. theol. Joachim Cochlovius wird zu den lutherischen, evangelikalen Theologen gerechnet. Er promovierte an der Universität Erlangen auf dem Gebiet der Kirchengeschichte mit einer Arbeit zum Thema '"Bekenntnis und Einheit der Kirche im deutschen Protestantismus 1840 - 1850" zum Dr. theol. und ist Pastor der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Seit 1996 ist er erster Vorsitzender des innerhalb der evangelischen Landeskirchen arbeitenden Gemeindehilfsbundes.

Pastor Cochlovius ist Mitinitiator der Aktion des Gemeindehilfsbundes, die für eine Neuausrichtung der Schwangerschaftskonfliktberatung in der EKD eintritt.

Unterschriftenaktion für die Abschaffung von Beratungsscheinen der EKD zur Abtreibung -> Onlineunterzeichnung

Zum Sammeln von Unterschriften in Gemeinden in MEDRUM -> Unterschriftenblatt Gemeindehilfsbund


 

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