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Ein biblisch-theologischer Fehlgriff


04.01.10

Ein biblisch-theologischer Fehlgriff

Die Neujahrspredigt der Ratsvorsitzenden der EKD, Bischöfin Margot Käßmann,
aus der Sicht der Jahreslosung 2010

Ein Kurzkommentar von Rolf-Alexander Thieke

(MEDRUM) Neben lebensnahen Richtigkeiten finden sich in der Predigt auch wohlfeile Populismen und politische Urteile, deren Kompetenz hinterfragt werden muß. Hierzu wurde inzwischen deutlich öffentliche Kritik geübt. Für die theologische Beurteilung aber ist maßgeblich, wie hörbereit die junge Ratsvorsitzende mit dem biblischen Text selber umgeht.

Theologisch, das heißt exegetisch-systematisch, ist unübersehbar, dass die Bischöfin mit dem ureigenen Zeugnis der Jahreslosung Joh 14,1 unsachgemäß verfährt: Es geht dort im Textzusammenhang um die Nachfolge Jesu Christi und um die Offenlegung der für die Jünger erschütternden Perspektive, dass sich Jesus auf dem Weg zum Todeskreuz befindet. Der Weg seiner erlösenden Liebe ist mit abgründigem Leid verbunden. Darauf bereitet Jesus die Seinen vor, und er stattet sie dabei aus mit einer Lebensperspektive, die sie auf den Himmlischen Vater und auf Jesu eigene Treue verweist.

Die Einheitsübersetzung formuliert näher am griechischen Text: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren! Glaubt an Gott und glaubt an mich!". Es geht nicht um "Erschrecken" im Sinn von "Aufschrecken", "Angst haben" oder um „Angst vor der Zukunft allgemein"! Es geht vielmehr darum, dass wir uns als Christen nicht verunsichern, nicht irritieren, nicht einschüchtern lassen, sobald wir entdecken, dass Jesus, der Christus, zu unserer Erlösung ausgerechnet den Weg eigenen L e i d e n s beschreitet und dass dies auch Konsequenzen für u n s hat. Es geht also um die Ermutigung, uns nicht durch Ängste und Leidenserfahrungen vom Glauben und vom Weg zum Vater abbringen zu lassen.

Aktualisiert hieße dies unter anderem: Wir sollen uns nicht einschüchtern und mundtot machen lassen durch Aggressionen, wie wir sie - zum Beispiel - im Jahr 2009 mit den üblen Kampagnen der taz- und SPIEGEL-Redaktionen etc. etc. erlebt haben. Derartige Attacken gehören zur Realität des „alten Menschen der Lüge", der das Evangelium "nicht erträgt" und der deswegen engagierte Christen entschieden "hasst", vgl. Joh 15,18ff. ...

Wir müssen festhalten, dass die Bischöfin sich bei der lockeren Art ihres Umgangs mit dem biblischen Text vergaloppiert hat, dass sie die biblische Kernaussage der Jahreslosung überhaupt nicht thematisiert hat. Ihre rhetorisch gestellte Frage, ob die Botschaft der Jahreslosung heißen würde, alles werde gut, ist quasi frei-schöpferisch erfunden; sie dient offenbar nur dazu, die Banalität abzulehnen, dass in dieser Welt alles gut sei. Jesus aber spricht nicht davon, dass in dieser Welt „nicht alles gut ist", sondern darüber, wie der Weg zum Himmlischen Vater aussieht und dass sich die Jünger nicht davon abhalten lassen sollen, an diesem Weg festzuhalten. Dies ist der Sinn der Aussage Jesu: Was auch immer geschehen wird, haltet fest am Glauben an Gott, am Weg zum Vater, den ich euch gezeigt habe! Haltet fest an meinen Geboten; ER wird Euch beistehen und helfen, sie zu halten! - Bei der Predigt der jetzigen Ratsvorsitzenden aber handelt es sich nicht mehr um sachgerechte Auslegung des Text-Zeugnisses, sondern um assoziative „Eis-Egese" und um einen schon "willkürlich" zu nennenden Umgang mit dem Schriftwort.

Sie hätte sich das biblische Zeugnis weitaus genauer ansehen sollen, um in theologischer Autorität verkündigen zu können. Stattdessen nutzte sie - in zum Teil modisch gewordener Manier - ein Bibelwort als Sprungbrett für eigene Aussagen mit bunten Gegenwartsbezügen, die aber keineswegs in jeder Hinsicht stichhaltig sind.

Kurz: Das Wort Jesu wird in der Predigt von Bischöfin Dr. Käßmann zweckentfremdet: losgelöst vom Sinngehalt der Absicht Jesu wird es in den Dienst ihrer eigenen Gedanken gestellt. Es muss aber genau umgekehrt sein: der theologisch seriöse Zeuge stellt seine Worte in den Dienst des Wortes Jesu. Sollten die EKD-Synodalen Dergleichen nicht auch von einer Ratsvorsitzenden einfordern?

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Rolf-Alexander Thieke ist Theologe, Pfarrer und Religionslehrer im Ruhestand. Geboren in Cottbus, studierte er Theologie in Neuendettelsau, Heidelberg und Göttingen. Nach Aufenthalten in der Schweiz, in Frankreich und in Großbritannien war er ab 1973 im Dienstauftrag in der Badischen Landeskirche für den gymnasialen Religionsunterricht tätig. Ab 1984 war er theologischer Studienleiter am „Seminar für Biblische Seelsorge" der Offensive Junger Christen in Reichelsheim und ab 1987 Schulpfarrer am Internat Schule Schloss Salem sowie an weiteren Schulen am Bodensee. Seit 2005  begleitet er pädagogische Projekte in Kinshasa/Kongo.

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Leserbriefe

Schade, dass ich diesen Kommentar erst jetzt gelesen oder gefunden habe! Oder: Gut dass ich ihn zumindest gesehen habe. Fazit: 100 % Pro. Besser, sprich exegetisch zutreffend - und leider auch in der Konsequenz auf die Predigt von Frau Käßmann bezogen - und gut. Nichts hinzu zusetzen. Ich hoffe, dass dieser Text weite Verbreitung findet. Danke an den Autor und den Internetanbieter. Weiter so. KDZunke