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Das Kreuz ist das Logo Europas


09.11.2009

Das Kreuz ist das Logo Europas

Eine Gesellschaft ohne religiöse Symbole ist nicht toleranter.

von Martin Kugler

(MEDRUM) Als Kardinal König nach seinem schweren Autounfall im ehemaligen Jugoslawien aus dem Koma erwachte, sah er an der Wand des Spitalzimmers ein Bild Titos. Für den Kirchenmann war dieses Erlebnis der Anstoß zu einem inneren Prozess, der ihn zu einer besonderen Solidarität mit den Christen der kommunistischen Länder führte. Für uns kann das Bild dieser Situation eine Hilfe sein, mit einem Missverständnis aufzuräumen, mit dem heute in Europa Politik gemacht wird.

Es handelt sich um den Irrglauben, echte Religionsfreiheit sei dann gegeben, wenn eine Gesellschaft von der Religion befreit ist. Dieses Missverständnis, das zur Zeit durch ein Gerichtsurteil des EGMR propagiert wird, beruht auf zwei Annahmen, die leicht widerlegt werden könnten.

  1. Die Rede vom wertneutralen Staat. Sie ist schlicht naiv und Ergebnis einer Illusion.
  2. Die Annahme, eine Öffentlichkeit ohne jede Präsenz religiösen Lebens oder religiöser Symbole wäre eine „tolerantere" oder der Gewissensfreiheit angemessener als ein „public square", der Äußerungen religiösen Glaubens zulässt oder sogar fördert.

Der Irrglaube an den wertneutralen Staat

Über die erste der beiden Voraussetzungen unseres Missverständnisses darf man eigentlich lachen: wertneutraler Staat? Gegenüber Steuerhinterziehung und Korruption? Gegenüber Fremdenhass und Diskriminierung? Gegenüber Umweltsünden und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz? Ein Staat, der Neonazis verbietet, Pornografie erlaubt, bestimmte Formen der Entwicklungshilfe steuerlich begünstigt und andere nicht? Alles aufgrund neutraler Werte?
Da will uns doch jemand für dumm verkaufen. Schon Goethe wetterte gegen den Unsinn, von „liberalen Ideen" zu reden. Ideen sollen womöglich gut oder richtig sein, liberal soll unsere Haltung gegenüber Menschen mit anderen Ideen sein.

Die zweite Annahme muss man hingegen etwas ernster nehmen: Der große jüdische Rechtsgelehrte Joseph Weiler meinte angesichts der Debatte über den Gottesbezug in der EU-Verfassung: Er als Angehöriger einer religiösen Minderheit fühle sich in einer Gesellschaft besser aufgehoben, die ihre religiösen Symbole respektiert, als in einer laizistischen, die selbst missionarisch gegen jede Glaubensäußerung vorgeht. Man könnte noch hinzufügen: Auch die Demontage der Kreuze in einem öffentlichen Spital und die verbleibenden weißen Wände sind ein Zeichen, bergen eine Symbolik und senden Signale an einen sterbenden Patienten, der zu ihnen hinaufblickt.

Das Kreuz ist Zeichen der Identität

ImageNatürlich kann sich die atheistische Mutter eines Schulkindes durch das Kreuz im Klassenzimmer belästigt fühlen. Doch das ist unvermeidbar. Auch ich fühle mich belästigt, wenn ich beim Betreten jedes Postamts Heinz Fischer erblicke, den ich nicht gewählt habe. Oder wenn ich am Weg zum Kindergarten meiner Tochter die von mir mitfinanzierten Plakate der Gemeinde Wien betrachten muss. Beeinflussung, ideologische Signale, visuelle Präsenz wird es immer geben. Die Frage ist nur, in welcher Form und mit welchem Inhalt. Und da soll sich der Staat nur sehr maßvoll einmischen. Und wenn, dann nicht durch Verbote, die die Religion ins Ghetto einsperren. Das Kreuz ist heute weniger denn je ein Zeichen des Zwanges, sondern eines der Identität und des Zusammenhalts Europas. Und deshalb hat es nicht nur Kardinal König im Spitalszimmer gefehlt. Es würde auch mir und meinen kirchenfernen Freunden fehlen: auf den Berggipfeln des Salzkammerguts, den Kirchen Burgunds und den Rettungswagen des Roten Kreuzes. Das Kreuz ist für den Christen Anspruch und Geheimnis. Aber für Europa ist es das erfolgreichste und beste Logo aller Zeiten. Es soll sichtbar bleiben.

Copyright Martin Kugler, 06.11.09, Erstveröffentlichung in ("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2009)

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ImageDr. Martin Kugler studierte in Wien, Graz und Rom Geschichte, Politikwissenschaft und Kommunikation und ist promovierter Historiker. Er war über 10 Jahre lang Pressesprecher und PR-Beauftragter großer kirchlicher Organisationen für mehrere mitteleuropäische Staaten, unter anderem auch für den Mitteleuropäischen Katholikentag 2003/2004 (www.katholikentag.at).

In Studium und Vortragstätigkeit beschäftigte er sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus, insbesondere seiner oftmals christlichen Motivation. Dazu publizierte er seine Dissertation „Zur Frühdiagnose des Nationalsozialismus in Österreich. Publizistischer Widerstand vor 1938" (Wien/Frankfurt 1995).

Seit 2005 leitet er Kairos Consulting in Wien. Weitere Information -> www.kairos-pr.com


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