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Sonntag muß geschützt bleiben


01.12.09

Sonntag muß geschützt bleiben

Bundesverfassungsgericht urteilt gegen das Berliner Ladenöffnungsgesetz

(MEDRUM) Die Öffnung der Geschäfte an allen vier Adventssonntagen ist mit der gesetzlichen Sonntagsruhe nicht vereinbar. So entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem heute verkündeten Urteil.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelung zur Ladenöffnungsmöglichkeit an allen vier Adventssonntagen (§ 3 Abs. 1 Alternative 2 BerlLadÖffG) mit Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Artikel 140 GG und Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) unvereinbar ist.

Das BVerG teilte zu seiner Entscheidung mit: "Das gesetzliche Schutzkonzept für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe muss diese Tage erkennbar als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben; die Ausnahme davon bedarf eines dem Sonntagsschutz gerecht werdenden Sachgrundes. Bloße wirtschaftliche Interessen von Verkaufsstelleninhabern und alltägliche Erwerbsinteressen der Käufer für die Ladenöffnung genügen dafür grundsätzlich nicht. Zudem müssen bei einer flächendeckenden und den gesamten Einzelhandel erfassenden Freigabe der Ladenöffnung rechtfertigende Gründe von besonderem Gewicht vorliegen, wenn mehrere Sonn- und Feiertage in Folge über jeweils viele Stunden hin freigegeben werden sollen. Vor diesem Hintergrund unterschreitet die voraussetzungslose siebenstündige Öffnung an allen vier Adventssonntagen ohne hinreichend gewichtige Gründe das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß des Sonntagsschutzes. Die Regelung über die Öffnung aufgrund Allgemeinverfügung an vier weiteren Sonn- und Feiertagen trägt nur bei einschränkender Auslegung den Erfordernissen des vom Gesetzgeber zu gewährleistenden Mindestschutzes Rechnung. Die für verfassungswidrig erklärte Adventssonntagsregelung bleibt noch bis zum 31. Dezember 2009 anwendbar, so dass die Ladenöffnung an den vier Adventssonntagen in diesem Jahr in Berlin noch möglich ist."

Bei seinen Erwägungen ließ sich das Verfassungsgericht davon leiten, dass der Gesetzgeber eine Schutzverpflichtung für den Sonn- und Feiertagsschutz habe, der neben seiner weltlich-sozialen Bedeutung auch in einer religiös-christlichen Tradition wurzele. Danach sei ein Mindestniveau des Schutzes der Sonntage und der gesetzlich anerkannten hier der kirchlichen Feiertage durch den Gesetzgeber zu gewährleisten.

Die Richter betonten, dass das Berliner Ladenöffnungsgesetz zwar weder gezielt in die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer eingreife, noch liege in den verschiedenen Bestimmungen und Optionen zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen das „funktionale Äquivalent" eines Eingriffs, weil es sich mit den hier angegriffenen Vorschriften an die Verkaufsstelleninhaber und nicht an die Religionsgemeinschaften richte. Allerdings beschränke sich die Religionsfreiheit nicht auf die Funktion eines Abwehrrechts, sondern gebiete auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern. Diese Schutzpflicht treffe den Staat auch gegenüber den als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgemeinschaften.

Das Gericht erläutert in seiner Begründung weiter: "Von der Ladenöffnung geht eine für jedermann wahrnehmbare Geschäftigkeits- und Betriebsamkeitswirkung aus, die typischerweise den Werktagen zugeordnet wird. Dadurch werden notwendig auch diejenigen betroffen, die weder arbeiten müssen noch einkaufen wollen, sondern Ruhe und seelische Erhebung suchen, namentlich auch die Gläubigen christlicher Religionen und die Religionsgemeinschaften selbst, nach deren Verständnis der Tag ein solcher der Ruhe und der Besinnung ist."

Als "Meilenstein für die Menschlichkeit und die Bewahrung unseres europäischen Kulturerbes" hat der mittelfränkische Europaabgeordnete Martin Kastler (CSU) das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sonntagsschutz begrüßt. Die Entscheidung, sei eine "schwere Niederlage für diejenigen, die den Mensch dem Markt unterordnen wollen". Kastler betont: "Das Bekenntnis zum Sonntagsschutz ist ein großer Verdienst unserer Verfassungsväter. Gerade in Zeiten, in denen wir uns über den Verlust an sozialen Bindungen und die Zerstörung der Familien beklagen, müssen wir am Sonntag als Ruhe- und Familientag festhalten. Das Urteil aus Karlsruhe gewährleistet, dass der Sonntag auch Sonntag bleibt."

Der sozialpolitische Sprecher der CSU im Europaparlament will nun auch auf europäischer Ebene für den Sonntag kämpfen. "Wir brauchen einen europäischen Sonntagsschutz. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verschafft uns dabei wichtigen Rückenwind. Egal aus welchem weltanschaulichen Grund - der Sonntagsschutz ist ein Wert, hinter dem sich alle Europäer versammeln sollten", findet Kastler.

Der Politiker aus Schwabach engagiert sich schon seit längerem in der "Allianz für den freien Sonntag". Sie ist ein Zusammenschluss aus Kirchen, Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Eine von Kastler mitinitiierte schriftliche Erklärung zum Sonntagsschutz auf europäischer Ebene war im Mai immerhin von einem Drittel der Europaabgeordneten unterstützt worden.